· 

Roger Schober: „Gerade Leute, die mehrere Jobs ausüben, wollen der Allgemeinheit nicht auf der Tascheliegen.“

faktuell.ch im Gespräch mit Roger Schober, Präsident der Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz

Roger Schober

 

faktuell.ch: Herr Schober, haben sich die Ursachen für Verschuldung mit dem Konsumkreditgesetz zur Erhöhung des Schutzes von Kreditnehmern gegen Verschuldung, das seit etwas mehr als zehn Jahre gilt, verändert?

 

Roger Schober: Kaum. Erst konsumieren, später zahlen – oder auch nicht. Diese Konsumhaltung auf Pump ist heute weit verbreitet und sicher nicht geeignet, Betreibungen zu vermeiden.

 

faktuell.ch: Wer hat es besonders schwer, seine Finanzen im Griff zu halten?

 

Roger Schober: Wir haben häufig die Situation der „working poor“, die 100 Prozent oder mehr arbeiten, zum Teil mehrere Jobs haben, aber damit so wenig verdienen, dass es zum Leben wirklich nicht reicht – schon gar nicht mit Familie. Solche Menschen haben manchmal weniger zum Leben als jemand, der vom Sozialdienst unterstützt und noch zusätzlich dafür entschädigt wird, dass er Arbeit sucht. Diese Diskrepanz ist stossend. Das melden wir den zuständigen Sozialbehörden und sind froh, wenn sie nochmals über die Bücher gehen, um das Ungleichgewicht zu beheben.

 

faktuell.ch: Und wie kommen sie aus dem Schuldenkreislauf heraus?

 

Roger Schober: Eine einzelne, erste Betreibung ist in der Regel kein grosses Problem, wenn der Betroffene noch ein Einkommen hat. Schwierig wird es, wenn er bereits ziemlich verschuldet ist und in die Einkommenspfändung rutscht. Wer auf dem tiefen betreibungsrechtlichen Existenzminimum lebt, in dem beispielsweise die Steuern nicht enthalten sind, hat mit ziemlicher Garantie jedes Jahr eine neue Steuerbetreibung. Aus diesem Kreislauf herauszukommen, ist sehr schwierig. Auch ein Privatkonkurs hilft da nicht weiter, Verlustscheine verjähren erst nach 20 Jahren.

 

faktuell.ch: Menschen, die sich lieber betreiben lassen, als vorher staatliche Hilfe zu beanspruchen – gibt es das noch?

 

Roger Schober: Ja, das gibt es, sogar relativ häufig. Gerade Leute, die mehrere Jobs ausüben, wollen der Allgemeinheit nicht auf der Tasche liegen. Generell gibt es zwei Extreme. Hier vorwiegend ältere Menschen, aber durchaus auch Jugendliche, die für sich selber aufkommen wollen; dort jene anderen, die sofort zu den Sozialdiensten rasen. Wir führen zwar keine Statistik, aber die Praxis zeigt, dass beide Extreme etwa gleich verbreitet sind.

 

faktuell.ch: Das Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs enthält eine verbindliche Liste von unpfändbaren Vermögenswerten. Was unterscheidet sie von den „Grundbedürfnissen“, welche die Sozialhilfe definiert?

 

Roger Schober: Der Ansatz ist unterschiedlich. Grundsätzlich ist das Existenzminimum der Schuldner tiefer angesetzt als das der Sozialhilfebezüger. Die Sozialhilfe ist mehr als eine Geldüberweisung pro Monat, sie ist auch eine Beratung mit Lösungsansätzen. Da können sich noch andere Türen öffnen. Das Betreibungswesen hat dafür zu sorgen, dass dem Schuldner genug Geld zum Leben bleibt, aber ihm obliegt auch, dass der Gläubiger zu seinem Geld kommen kann, auf das er Anrecht hat.

 

faktuell.ch: Sind Ihre „normalen“ Kunden primär Sozialhilfe-Empfänger?

 

Roger Schober: Nein, so einfach ist es nicht. Wir haben eine grosse Bandbreite von Kunden. Sie reicht von Leuten, die gar nichts verdienen, bis zu jenen mit sehr hohen Einkommen. Es gibt Betreibungen von Leuten, die 20‘000 und mehr im Monat verdienen. Ich glaube sogar, dass die Gefahr der Verschuldung mit zunehmend hohem Verdienst steigt. Man hat einen hohen Lebensstandard mit allem drum und dran, einem schönen Haus, einem tollen Auto, macht teure Ferien, trägt eine Rolex am Handgelenk und lebt trotz hohem Gehalt über die Verhältnisse. Diese Leute haben nach einer Betreibung Mühe, ihrem Umfeld die Einschränkungen zu erklären und finden in der Regel keinen entsprechenden Job mehr. Sie fallen mit der Betreibung aus einer grossen Höhe sehr tief – als Arbeitslose bis zur regionalen Arbeitsvermittlung.

 

faktuell.ch: Wirkt es für die Schuldner nicht fast ironisch, wenn Sie sie als ‚Kunden‘ bezeichnen?

 

Roger Schober: Kunde ist bei uns der Gläubiger genauso wie der Schuldner. Wenn es den einen nicht gäbe, gäbe es den andern nicht. Wir sind Dienstleistungsbetriebe und man sollte uns als solche verstehen. Wir können nicht Partei beziehen und nur für die eine oder die andere Seite handeln. Der Gesetzgeber sieht vor, dass wir uns neutral verhalten.

 

faktuell.ch: Welchen Anspruch gewichtet die Öffentlichkeit Ihrer Ansicht nach höher – den des Schuldners oder den des Gläubigers?

 

Roger Schober: Früher war es so, dass die Schuldner im allgemeinen Empfinden die bedauernswerten, von ihren Gläubigern gequälten Opfer waren. Das ist zumindest aus Sicht mancher Schuldner immer noch so. In der Praxis ist aber nicht immer klar, wer wen mehr quält. Wir stellen fest, dass Gläubiger zunehmend Druck aufsetzen, weil sie selber unter Druck stehen und dringend auf ihr Geld angewiesen sind. Beide Seiten melden also klar ihre Bedürfnisse an und es ist nicht einfach, einen schlauen Mittelweg zu finden, der auch noch rechtskonform ist. Gläubiger ersparen sich viel Ärger, wenn sie vor Vertragsabschluss einen Blick in den Betreibungsauszug ihrer angehenden Vertragspartner werfen. Der Auszug kostet nur Fr.17.-, was sehr wenig ist im Verhältnis zu den tausenden von Franken, die man verlieren kann.

 

faktuell.ch: Nehmen wir an, ein junger Mensch befindet sich in einem Integrationsprogamm der Sozialhilfe – beispielsweise einem Motivationskurse zwecks Lehrabschluss – und wird betrieben. Gibt es nach der Betreibung einen Kontakt zwischen Ihnen und dem zuständigen Sozialamt?

 

Roger Schober: Das ist von der Gemeinde und dem lokalen Sozialdienst abhängig. Nur weil jemand kein Geld hat und trotzdem immer Waren bestellt, wird er der KESB nicht gemeldet. Wir empfehlen unseren Mitarbeitenden, die KESB inoffiziell anzurufen, den Fall generell zu schildern, ihre Ansicht dazu einzuholen und als Rat weiterzugeben.

 

faktuell.ch: Weisen sie jemandem, der trotz harter Arbeit nicht aus der Schuldenfalle kommt, den Gang zur Sozialhilfe?

 

Roger Schober: Das habe ich persönlich schon getan. Unser Sozialstaat bietet den grossen Vorteil, dass jeder „geschäften“ darf, wie er will, aber auch mit einem Auffangnetz rechnen kann, wenn er nicht mehr zurechtkommt. Wer sich Mühe gibt, aus dem Netz wieder rauszukommen, dem weise ich gern den Weg zur Sozialhilfe. Leute, die keine Selbstverantwortung wahrnehmen, sind ohnehin schon dort. Da braucht es keinen Wegweiser.

 

faktuell.ch: In der Sozialhilfe wächst das Risiko, dass Kinder von Sozialhilfeempfängern später als Erwachsene selber auch nicht aus der Sozialhilfe-Abhängigkeit herausfinden. Wie verhält es sich in Ihrer Branche: Übertragen sich die Schwierigkeiten von Eltern, mit Geld umgehen zu können, auf die Kinder?

 

Roger Schober: Nicht zwingend. Allerdings würde ich unterschreiben, dass die generelle Ausgangslage für Kinder aus einem finanziell problematischen Umfeld nicht besonders vorteilhaft ist, verglichen mit anderen.

 

faktuell.ch: 570‘000 Haushalte in der Schweiz haben kritische Zahlungsrückstände. Andiskutiert ist in der Schuldenberatung die Restschuldbefreiung: Wer kein Vermögen oder pfändbares Einkommen hat, soll mit einem Schuldenschnitt seiner Sorgen enthoben werden. Für wie sinnvoll und volkswirtschaftlich vertretbar halten Sie diese Lösung?

 

Roger Schober: Für mich ist die Idee zweischneidig: Sicher sollten Menschen die Möglichkeit haben, den Weg aus der Schuldenfalle zu finden, aber es gilt auch die Interessen der Gläubiger zu berücksichtigen. Sie haben eine Leistung in Erwartung einer Gegenleistung erbracht und bleiben nun auf den Verlusten sitzen. Die Restschuldbefreiung läuft folglich auf eine Benachteiligung der Gläubiger hinaus. Damit dies nicht der Fall ist, müssen klare Rahmenbedingungen definiert werden. Meine Patentlösung – mit der ich sicher nicht eine Mehrheit der Schweizer Beamten vertrete – wäre die Quellensteuer. Der Staat bezieht das Geld an der Quelle und rechnet später ab. Die öffentliche Hand ist die grösste Gläubigerin bei den Betreibungs-und Konkursämtern. Mit der Quellensteuer gäbe es keine Steuerausfälle, die Steueransätze würden massiv tiefer und es würde uns allen besser gehen.

 

(Das faktuell.ch-Gespräch mit Roger Schober hat im März 2015 stattgefunden.)

___________________________________________________________________________________________________________________________

 

Roger Schober

 ist hauptberuflich Vorsteher des Betreibungs- und Konkursamtes Bern-Mittelland mit fast 30jähriger Berufserfahrung. Die von ihm präsidierte Konferenz der Betreibungs- und Konkursbeamten der Schweiz wurde 1925 gegründet und bezweckt unter anderem eine möglichst einheitliche Amtsführung bei den Betreibungs- Konkursämtern der Schweiz.

 

Gesprächsführung für faktuell.ch: Elisabeth Weyermann

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0