faktuell.ch im Gespräch mit Christof Meier, Leiter Integrationsförderung in der Stadt Zürich
Christof Meier
faktuell.ch: Herr Meier, was sind die Ziele der Stadtzürcher Integrationspolitik?
Christof Meier: Wir arbeiten darauf hin, dass sich in unserer Stadt alle als Zürcherinnen und Zürcher fühlen – egal, ob neu zugezogen oder längst verwurzelt, ob FCB-Fan oder Muslim. Wer hier wohnt, soll sich am Leben und der Gestaltung unserer Stadt und ihrer Quartiere beteiligen, unabhängig von Sprache und Herkunft.
faktuell.ch: Klingt toll, aber angesichts von Menschen aus 169 Ländern, die in Ihrer Stadt wohnen, doch etwas gar ambitiös.
Christof Meier: Ein wichtiges Schlüsselwort heisst „Wertschätzung“, andere akzeptieren und respektieren. Wir sprechen auch von einer Willkommens- und Anerkennungskultur. Es gibt eine andere Integrationsgeschichte, wenn jemand mit „Schön, sind Sie hier“ statt mit „Auf Sie haben wir hier gerade noch gewartet“ begrüsst wird...
faktuell.ch: … was gewiss nicht allen Zürchern leicht fällt – oder?
Christof Meier: Vielleicht, aber die Bedeutung der dahinter stehenden Haltung kennen wir alle aus eigener Erfahrung. Immer wieder sehen wir uns in der Situation, Ankommende zu sein – in einem neuen Verein, einem neuen Quartier, an einem neuen Arbeitsplatz. Da fühlen wir uns gerne willkommen und zugehörig. Das heisst aber nicht, dass jedes Verhalten zu akzeptieren ist und dass es keine Probleme gibt. Wir sollten uns aber davor hüten, die Probleme kulturell, ethnisch oder religiös zu erklären.
faktuell.ch: Sie informieren in 15 Sprachen über die Angebote der Stadt.
Christof Meier: Ja, denn die Neuzuzüger sollen unsere Anlaufstellen möglichst rasch kennen, beispielsweise um herauszufinden, wo sie Deutsch lernen können. Grundsätzlich stellt sich aber in der ganzen Stadtverwaltung die Frage, ob und welche Informationen schriftlich in welche Sprache übersetzt werden sollen.
faktuell.ch: Ihr erklärtes Ziel ist es, dass Menschen, von woher auch immer sie kommen, um sich in Zürich niederzulassen, sich rasch als Zürcher fühlen. Was meinen Sie damit?
Christof Meier: Städte definieren sich durch Differenzen, durch die Vielfalt ihrer Bewohnerinnen und Bewohner. Das braucht einen gewissen Konsens über die Gestaltung des Zusammenlebens, wobei wir grundsätzlich eine liberale Haltung einnehmen. Und in einer liberalen Gesellschaft haben auch Leute Platz, die anders leben oder zum Beispiel zur Frage der Homosexualität wenig liberal eingestellt sind.
faktuell.ch: Die Frage ist doch, ob eine liberale Gesellschaft einfach zusehen muss, wie beispielsweise die Rolle der Frau – vorsichtig ausgedrückt – von manchen Neuzuzügern anders interpretiert wird.
Christof Meier: Natürlich haben wir eine konkrete Vorstellung von der Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Aber der Staat hat niemandem vorzuschreiben, wie dies geschehen soll und wie er zu leben hat. Einzuhalten sind «lediglich» unsere Gesetze. Auflagen machen wir nur, wenn jemand staatliche Leistungen bezieht. Wer Sozialhilfe beansprucht, muss unter Umständen Deutschkurse besuchen. Das Ziel ist, dass er oder sie finanziell eigenständig ist und am gesellschaftlichen Alltag teilnimmt.
faktuell.ch: Viele Ihrer Integrationskurse richten sich an Frauen. Geht es darum, damit Frauen aus anderen Kulturkreisen den selbständigen Zugang in die Öffentlichkeit zu erleichtern, sie gleichsam aus der häuslichen Isolation herauszulocken?
Christof Meier: Jein. Wir haben seit über 20 Jahren ein frauenspezifisches Angebot, weil vor allem die Frauen, die im Familiennachzug in die Schweiz kommen, eine wichtige Zielgruppe sind. Ihre Integration sieht anders aus als die ihrer Männer, die in der Regel schon hier arbeiten. Alles, was wir an Wissen über die Schweiz und das Leben in Zürich vermitteln können, ist nirgends so gut aufgehoben, wie bei der Mutter in der Familie. Das strahlt auf Kinder und Umfeld aus. Darum richten wir unser Angebot „In Zürich leben“ nur an fremdsprachige Mütter und Frauen.
faktuell.ch: Es heisst immer, dass andere Kulturen eine Bereicherung der eigenen Gesellschaft sind, richtig?
Christof Meier: Ja, aber die Frage ist nur bedingt relevant. Denn wir haben die Gesellschaft, die wir haben. Punkt. Integrationspolitisch können wir nicht sagen, andere Leute wären uns lieber. Diese Frage lässt sich höchstens zuwanderungspolitisch diskutieren. Unser Alltagsleben ist geprägt von fremden Einflüssen, die nicht mehr wegzudenken sind. Eine so vielfältige Gesellschaft ist in vieler Hinsicht dynamischer und lebendiger als eine homogene, und oft auch produktiver. Wir müssen uns einer Welt, die sich laufend verändert, immer wieder neu stellen Wenn wir die Veränderung verneinen, blockieren wir uns nur. Es wird ohnehin nie mehr, wie es gewesen ist.
faktuell.ch: Konkret. Was führen Sie auf diese positiven fremden Einflüsse zurück?
Christof Meier: Zürich hat sich in den letzten fünfzehn Jahren stark verändert und ist nicht nur eine attraktive Wohnstadt geworden, sondern auch urbaner und mediteraner. Die aus dem Ausland zugezogene Bevölkerung und deren Kinder haben dazu viel beigetragen. Sie bilden heute die Mehrheit, denn 40 Prozent unserer Bevölkerung ist im Ausland geboren und 60 Prozent haben einen sogenannten Migrationshintergrund, also mindestens einen im Ausland geborenen Elternteil. Von Vorteil ist dabei für uns, dass auch diese Bevölkerung sehr vielfältig ist. Das macht es einfacher. Wenn bei uns in einer Schulklasse 80 Prozent der Kinder eine andere Muttersprache haben als deutsch, dann sprechen diese vielleicht zehn verschiedene Sprachen und nicht wie beispielsweise in Berlin-Neukölln, wo deutlich weniger Ausländer leben als in Zürich, mehrheitlich türkisch. Wir haben auch keine Banlieues. Und falls es eine Parallelgesellschaft gibt, dann spricht sie Englisch.
faktuell.ch: Wie erklären Sie sich als erfahrener Integrationsexperte, dass niedergelassene Migranten der Zuwanderung gegenüber genau so skeptisch sind wie manche Schweizer?
Christof Meier: Abschottungstendenzen mit skeptischen, teilweise fremdenfeindlichen oder gar rassistischen Zügen gibt es überall. Weshalb also nicht bei der alteingesessenen ausländischen Bevölkerung, zum Beispiel der älteren Generation der Gastarbeiter? Alle haben Mühe mit Veränderungen. Da macht man gerne die neu zugezogene Bevölkerung für aktuelle gesellschaftliche Probleme verantwortlich. Vor 30 Jahren hiess es, wir hätten ohne Ausländer kein Drogenproblem, dann hätte man meinen können, ohne Ausländer wäre unsere Polizei arbeitslos, und heute sind viele überzeugt, ohne Ausländer wären sie im Zug alleine und sie könnten zwischen einem Dutzend billiger und gut gelegener Wohnungen auswählen. Es scheint zu stören, dass unsere Wirtschaft gut entlöhnte Arbeitsplätze schafft, die sie nicht mit lokalen Einheimischen besetzen kann.
faktuell.ch: Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Migration in der Schweiz verändert. Bis in die 60er Jahre der vorigen Jahrhunderts wanderten vor allem „bildungsferne“ Menschen ein, heute sind es vermehrt – gerade in Zürich – gut ausgebildete Leute aus der Mittel- und Oberschicht. Wie reagieren die Einheimischen darauf?
Christof Meier: Die Zuwanderung war schon immer vielschichtig. Aber es ist richtig, dass sich die Gewichte verschoben haben. Wir waren daran gewöhnt, dass Leute kamen, die Arbeiten übernahmen, die wir selbst nicht machen wollten und schon gar nicht zu den gegebenen Bedingungen. Jetzt haben wir plötzlich ausländische Vorgesetzte. Das ist psychologisch etwas anderes. Da hört man gerade in wirtschaftlich unsicheren Zeiten, es habe jetzt schon etwas viele Deutsche in den Spitälern oder an der Universität. Aber wir wären ökonomisch schlecht beraten, die Staatszugehörigkeit höher zu gewichten als die Qualifikation.
faktuell.ch: Zürich pflegt in Sachen Integrationspolitik einen regionalen, nationalen und internationalen Erfahrungsaustausch. Welche Erkenntnisse sind Ihnen nützlich?
Christof Meier: Integrationsbeauftragte gibt es in allen Kantonen und in allen grösseren Städten. Die „Konferenz der kommunalen und kantonalen Integrationsdelegierten“ ist unser „Verein“. Wir sind auch Gesprächspartner des Bundes. Wichtig ist, dass wir die eigene Arbeit in einen nationalen Kontext stellen können. Gleichzeitig ist unsere Situation in der Stadt Zürich deutlich vergleichbarer mit Städten wie Frankfurt und Wien als mit Glarus oder Brugg. Deshalb ist auch der internationale Austausch wichtig.
faktuell.ch: Haben Sie schon konkret etwas übernehmen können oder umgekehrt eine andere Stadt etwas von Zürich?
Christof Meier: Nicht eins zu eins. Es gibt aber immer wieder gute Ideen, die wir in einer andern Form übernehmen könnten. Barcelona hat beispielsweise „Ambassadoren“ im Kampf gegen Gerüchte über Ausländer eingesetzt. Sie werden darin gestärkt, in ihrem Alltag gut mit Fakten zu reagieren, wenn jemand Vorurteile äussert. An grosse Kampagnen hingegen glauben wir nicht. Die kosten vor allem viel Geld. Abgesehen davon wollen wir den Leuten nicht vorschreiben, was sie zu denken haben.
faktuell.ch: Was kostet die Integrationsarbeit die Steuerzahler der Stadt Zürich?
Christof Meier: Gegenfrage: Welche Arbeit der Stadt ist keine Integrationsarbeit? Quartierarbeit und Schulisches fallen unter die normalen Budgets. Und grundsätzlich richten sich alle städtischen Leistungen und Angebote an die ganze Wohnbevölkerung. Spezielle Angebote für neuzuziehende Ausländer machen wir nur, wenn ein besonderer Bedarf besteht. Darunter fällt, dass wir die Leute informieren, das Deutschlernen fördern und Integrationskurse für Jugendliche anbieten, die erst nach der obligatorischen Schulzeit in die Schweiz kommen. In einer Stadt wie Zürich machen solche spezifischen Massnahmen insgesamt etwa fünf bis sechs Millionen Franken pro Jahr aus.
Gesprächsführung für faktuell.ch: Elisabeth Weyermann
(Das faktuell.ch-Gespräch mit Christof Meier hat im April 2015 stattgefunden)
Christof Meier
ist Leiter der in der Stadtentwicklung angesiedelten Integrationsförderung der Stadt Zürich. Er verfügt über 25 Jahre Erfahrung im Bereich der Migration; seit neun Jahren arbeitet er bei der Stadt Zürich.
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