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Die AHV im Spiegel ihrer fast 100jährigen Geschichte

Auf- und Ausbau der AHV: Die Meilensteine seit 1925.

  • 1925: Verfassungsgrundlage für AHV und IV: Am 6. Dezember stimmen Volk und Stände einer Ergänzung der Bundesverfassung zu, die den Bund beauftragt, auf dem Wege der Gesetzgebung die AHV und zu einem späteren Zeitpunkt auch die Invalidenversicherung einzuführen.
  • 1926: Vorfinanzierung der AHV: Ab dem 1. Januar 1926 leistet der Bund einen Beitrag in der Höhe der gesamten Einnahmen der fiskalischen Belastung des Tabaks an die AHV - über 20 Jahre vor den ersten Rentenzahlungen. Auch der Anteil des Bundes an den  allfälligen Reineinnahmen aus einer künftigen fiskalischen Belastung gebrannter Wasser soll für die AHV verwendet werden.
  • 1931: Sechs Jahre nach der Annahme des Verfassungsartikels scheitert das von den Eidgenössischen Räten genehmigte Ausführungsgesetz (mit AHV-Alter 66 für beide Geschlechter) an den Urnen, nachdem Gegner einer nationalen Lösung das Referendum ergriffen hatten. Das Gesetz wird haushoch verworfen. Fortan diktiert die Weltwirtschaftskrise andere Prioritäten und die AHV wird auf die Warteliste gesetzt.
  • 1934: Zwischen 1926 und 1934 steigt der AHV-Fonds von rund 19 auf 231 Millionen Franken. Im ersten Finanzprogramm der Krisenzeit beschliessen die Eidgenössischen Räte ab dem 1. Januar 1934 die Monopolabgaben auf Tabak, die für den AHV-Fonds bestimmt waren, neu für die allgemeinen Bedürfnisse des Bundes zu verwenden, um damit die Krisenbekämpfung zu finanzieren. In einem zweiten Finanzprogramm beschliessen Bundesrat und die Eidgenössischen Räte zudem,  die Verzinsung des AHV-Fonds einzustellen.
  • 1938: Am 16. Dezember 1938 segnet das Stimmvolk die seit 1934 verfassungswidrige Zweckentfremdung der AHV-Gelder nachträglich ab.
  • 1940: Einführung der Erwerbsersatzordnung für Wehrpflichtige (EO). Mit ihr taucht die Idee auf, Finanzierungsart und Organisation dieses ersten Solidaritätswerkes könnten nach Kriegsende allenfalls auf die neu zu schaffende AHV übertragen werden.
  • 1944: Der Bundesrat beauftragt das Eidgenössische Volkswirtschaftsdepartement, dem der frühere Solothurner Industrievertreter Walther Stampfli vorsteht, die Frage einer eidgenössischen AHV erneut zu prüfen.
  • 1945: Der AHV-Fonds ist seit 1934 nur um 13 Millionen Franken auf 244 Millionen Franken gestiegen. Wären die Einnahmen aus der Tabak- und Alkoholsteuer, wie ursprünglich vorgesehen, über die ganze Zeit der AHV zugutegekommen, hätten es nach Berechnungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen rund 800 Millionen Franken sein können (entspricht heute 3,5 bis 4 Milliarden Franken).
  • 1946: Der Bundesrat unterbreitet den Eidgenössischen Räten die Vorlage eines Bundesgesetzes zur AHV. Es wird noch im gleichen Jahr verabschiedet.
  • 1947: 22 Jahre nach der Annahme des AHV-Verfassungsartikels stimmen Volk und Stände dem Bundesgesetz zur AHV und damit u.a. auch dem AHV-Alter 65 für Mann und Frau zu.  Bei einer Stimmbeteiligung von 80 Prozenten erhalten die Befürworter 862'036 und die  Verlierer 215'496 Stimmen. Nur der Halbkanton Obwalden lehnt das Gesetz ab. Zur Finanzierung: Haupteinnahmequellen bilden die Beiträge der Versicherten und Arbeitgeber (je 2 Lohnprozente) sowie die öffentliche Hand (Bund zwei Drittel) und Kantone (ein Drittel) des während 20 Jahren geltenden fixen jährlichen Beitrages von 160, später  mit der 6. AHV-Revision von 350 Millionen Franken.
  • 1948: Erste AHV-Rentenzahlung (maximal 125 Franken, minimal 40 Franken); ein Industriearbeiter verdient zu dieser Zeit 745 Franken im Monat (40 Franken entsprechen heute etwa 185 Franken). Tabak- und Alkoholsteuer, Mehrwertsteuer, Spielbankenabgaben und allgemeine Bundesmittel, also sämtliche Steuereinnahmen zusammen, die zur Finanzierung der AHV eingesetzt werden, machen im langjährigen Durchschnitt rund 23 Prozent der jährlichen AHV-Ausgaben aus.
  • 1957: Senkung des Frauenrentenalters auf 63; Erwerbstätige sind neu ab dem 18. Altersjahr (vorher 15) beitragspflichtig. Die damit verbundenen höheren Ausgaben seien sogar "wünschbar, um ein unbegrenztes Wachstum des AHV-Fonds zu verhindern", erklärte der Bundesrat.
  • 1959: Die sogenannte Binswanger-Kommission übernimmt das Szepter in der AHV-Debatte. Der frühere Chefbeamte Peter Binswanger hatte unter der Federführung von Bundesrat Walther Stampfli den Aufbau der AHV als Chefbeamter des Bundesamtes für Sozialversicherungen wesentlich mitgeprägt, ehe er 1956 als Direktor zur "Winterthur" (heute AXA) wechselte. Die Binswanger-Kommission mutiert unter dem Patronat der Lebensversicherungsgesellschaften zur "Studienkommission für die Probleme der Alters- und Hinterlassenenversicherung". Sie übernimmt den Auftrag, ein Alternativmodell zur staatlichen Altersvorsorge zu entwickeln. Der Argwohn der Versicherungsbranche gilt einer allzu grosszügig dotierten Rente.
  • 1960: AHV/IV-Fonds: Das Gesetz über die Invalidenversicherung (IV) wird in Kraft gesetzt.
  • 1961: Fünfte AHV-Revision: Rentenerhöhung um durchschnittlich 28 Prozent; Auftrag des Bundesrates zur periodischen Überprüfung des Verhältnisses zwischen Renten, Preisen und Erwerbseinkommen
  • 1963: Die Studienkommission mit ihrem Sprecher Binswanger  überzeugt die Mitglieder der AHV-Kommission, in der Botschaft zur 6. AHV-Revision die Definition der "drei Arten" (heute "Säulen" benannt) des "typisch schweizerischen Vorsorgesystems" aufzunehmen. Sinngemässe Begründung: Es gilt die AHV dahin zu entwickeln, dass ihr Nutzen auch in Zukunft eine Grundlage und eine Ermutigung für die beiden anderen Vorsorgesysteme darstellt, mithin die künftige zweite und dritte Säule.
  • 1964: Sechste AHV-Revision: Senkung des Frauenrentenalters auf 62; Erhöhung der Renten um ein Drittel; Erhöhung des Beitrages der öffentlichen Hand von bisher 160 Millionen Franken auf einen Fünftel der jährlichen Ausgaben (1964 = 350 Mio.)
  • 1966: Einführung der bedarfsabhängigen AHV/IV-Ergänzungsleistungen
  •  1969: Siebte AHV-Revision: Rentenerhöhung um mindestens ein Drittel; Erhöhung der Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber von je 2 auf je 2,6 Prozent, der Selbständigerwerbenden auf 4,6 Prozent; Einführung der Möglichkeit des Rentenaufschubs
  • 1972: Die bis heute entscheidende Weichenstellung in der Altersvorsorge: Volk und Stände lehnen mit grosser Mehrheit die Volksinitiative der Partei der Arbeit (PdA) für die Einführung einer "wirklichen Volkspension" ab und stimmen dem Gegenvorschlag der Bundesversammlung mit 1'393'797 Ja gegen 418'018 Nein zu. Damit wird das sogenannte Drei-Säulen-Prinzip in der Bundesverfassung verankert.
  • 1973: Achte AHV-Revision, erste Stufe: Erhöhung der Renten um durchschnittlich 80 Prozent ; Befugnis der Ehefrau, für sich die halbe Ehepaar-Altersrente zu beanspruchen; Erhöhung der Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber von je 2,6 auf je 3,9 Prozent, der Selbständigerwerbenden auf 6,8 Prozent
  • 1975: Achte AHV-Revision, zweite Stufe: Erhöhung der Renten um durchschnittlich 25 Prozent; Gewährung von Baubeiträgen an die Errichtung, den Ausbau und die Erneuerung von Heimen und anderen Einrichtungen für Betagte; Erhöhung der Beiträge der Versicherten und der Arbeitgeber von je 2,6 auf je 4,2 Prozent, der Selbständigerwerbenden auf 7,3 Prozent
  • 1979: Neunte AHV-Revision: Wiedereinführung der Beitragspflicht für erwerbstätige Rentner; Erhöhung der AHV-Beiträge der Selbständigerwerbenden auf 7,8 Prozent; Erhebung von Verzugszinsen bei säumigen Beitragsschuldnern; gegen die neunte AHV-Revision wurde das Referendum ergriffen, die Revision aber in der Abstimmung von Volk und Ständen deutlich angenommen.
  • 1993: Verfassungsgrundlage für ein zweckgebundenes Mehrwertsteuerprozent für die AHV
  • 1994: Einführung der Erziehungsgutschrift für geschiedene Frauen
  • 1997: Zehnte AHV-Revision: Einführung eines Systemwechsels mit individuellem und geschlechtsneutralem Rentenanspruch. Bei den Ehepaaren wird ein Einkommenssplitting vorgenommen; die Einkommen beider Ehegatten werden geteilt und je die Hälfte dem anderen Ehegatten auf seinem Konto gutgeschrieben. Einführung von Erziehungsgutschriften als Entschädigung für die Kindererziehung; Einführung des flexiblen Rentenalters durch die Möglichkeit des Rentenvorbezugs um höchstens zwei Jahre.
  • 1999: Erhöhung des Mehrwertsteuersatzes um ein Prozent zugunsten der AHV ("Demografieprozent" genannt, wobei der AHV davon nur 83 Prozent zukommen, 17 Prozent fliessen in die allgemeine Bundeskasse); Erhöhung der Renten um 1 Prozent, ab 2010 geht das ganze Demografieprozent in die AHV
  • 2001: Anhebung des Rentenalters für Frauen auf 63; Möglichkeit des Erwerbs ausländischer Aktien durch den Ausgleichsfonds
  • 2005: Anhebung des Rentenalters für Frauen auf 64
  • 2007: Die AHV erhält 7,038 Milliarden Franken erhält aus dem Verkauf des Nationalbank-Goldes
  • 2008: Neuer Finanzausgleich: Der Bund leistet fortan den gesamten AHV-Beitrag der öffentlichen Hand, die Kantonalbeiträge entfallen
  • 2009: Im Finanzperspektiven-Bericht räumt das Bundesamt für Sozialversicherungen freimütig ein, dass die Finanzlage der AHV jahrelang zu pessimistisch eingeschätzt worden sei (Quelle: "Aktualisierung der Berechnungsgrundlage zur Erstellung von Perspektivrechnungen in der AHV").
  • 2010: Die jahrelangen IV-Defizite reissen bis Ende Jahr ein Loch von rund 20 Milliarden Franken in den gemeinsamen AHV-IV-Fonds
  • 2011: Trennung in AHV- und IV-Fonds; der neue IV-Fonds erhält aus den AHV-Reserven  à fonds perdus 5 Milliarden Franken, die zur Tilgung der Schuld ebenfalls der AHV entnommenen 14,9 Milliarden Franken werden durch die Bundeskasse verzinst; gleichzeitig erhält die IV eine befristete Zusatzfinanzierung durch die Mehrwertsteuer für die Jahre 2011 bis 2017 (0,4 von 8 Mehrwertsteuerprozenten). Versprochen ist, dass die IV bis spätestens 2030 ihre AHV-Schuld abgetragen haben wird.
  • 2011: Im Rahmen der Neuregelung der Pflegefinanzierung können Altersrentnerinnen und Altersrentner eine Hilflosenentschädigung leichten Grades beanspruchen, sofern sie im eigenen Haushalt leben.
  • 2022: Mit einer knappen Ja-Stimmenmehrheit von 31'195 Stimmen ist die gesetzliche Grundlage der Reform zur Stabilisierung der AHV («AHV 21») angenommen worden. 1'442'591 oder 50,5 Prozent der Stimmberechtigten stimmten mit «Ja», 1'411'396 oder 49,5 Prozent mit «Nein». Die Stimmbeteiligung betrug 52,19 Prozent. Gleichzeitig wurde auch der Bundesbeschluss über die Zusatzfinanzierung der AHV gutgeheissen, mit der das Niveau der Renten bis ins Jahr 2030 sichergestellt werden soll.

  • 2024: Inkrafttreten der Reform zur Stabilisierung und Zusatzfinanzierung der AHV («AHV 21»): Sie vereinheitlicht das Rentenalter (neu Referenzalter genannt), indem jenes der Frauen ab 2025 sukzessive von heute 64 auf neu 65 Jahre angehoben wird. Weiterer Schwerpunkt der Reform ist die Flexibilisierung des Altersrücktritts mit Anreizen für eine längere Erwerbstätigkeit. Die Zusatzfinanzierung erfolgt durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuersätze: Normalsatz neu 8,1 statt 7,7 Prozent, Reduzierter Satz neu 2,6 statt 2,5 Prozent und Sondersatz für Beherbergung neu 3,8 statt 3,7 Prozent.

  • 2024: Die vom Schweizerischen Gewerkschaftsbund lancierte Volksinitiative "Für ein besseres Leben im Alter (Initiative für eine 13. AHV-Rente wird in der Abstimmung vom 3. März 2024 von Volk und Ständen deutlich angenommen: 1'883'465 oder 58.24 Prozent stimmen mit "Ja", 1'350'257 oder 41,76 mit "Nein". Bei einer Stimmbeteiligung von 58,34 Prozent stimmen 14 2/2 gegenüber 6 4/2 Kantone dem Volksbegehren zu.