faktuell.ch im Gespräch mit Peter Haudenschild, der sich u.a. zusammen mit dem Schweizerischen Seniorenrat gegen die Altersdiskriminierung in der Politik engagiert.
Peter Haudenschild
faktuell.ch: Die «Überalterung» der Gesellschaft ist ein politisch heisses Thema in der Schweiz. Schon im Hinblick auf die AHV-Abstimmung vom 25. September 2016 wurden die über 65-Jährigen von einer überwältigenden Mehrheit der Medien als reiche Geniesser dargestellt, die kommende Generationen für sich zahlen lassen. Woher kommt dieses «Alten-Bashing», Herr Haudenschild?
Peter Haudenschild: Ich sehe zwei wesentliche Aspekte. Der eine, der Finanzaspekt, ist objektiv messbar. Ein über 50jähriger ist im Lohn viel teurer als ein 25jähriger. Man sieht dies deutlich bei der BVG-Abstufung der Beitragssätze. Der andere Aspekt – auch objektive, aber weniger gut messbare – ist der körperliche. Der ältere Mensch ist weniger schnell. Das sieht man sehr gut im Sport. Der 100m-Läufer, der in der Weltelite mitmacht, ist um die 25, nicht um die 55. Der ältere Mensch im Sport ist eher der Ausdauerläufer. Geschwindigkeit ist in unserer Gesellschaft aber enorm wichtig. Wenn sich in einer Diskussion Leute zu Wort melden, kommt der Schnellere dran und hat oft nur schon recht, weil er der Erste ist. Weitere getrauen sich schon nicht mehr, etwas zu sagen, oder sie haben es einfach schwerer, sich einzubringen. Und letztlich – der emotionale Aspekt - ist man den „Alten“ einfach ihre Rente neidisch.
faktuell.ch: Die Skepsis gegenüber älteren Menschen ist also berechtigt – sie kosten mehr und liefern langsamer oder gar nicht?
Peter Haudenschild: Nein! Diese Feststellungen berechtigen in keiner Art und Weise, etwas gegen die älteren Menschen zu haben. Nochmals zurück zu den Kosten der älteren Arbeitnehmer. Da gibt es auch andere Lösungen. Man sollte am meisten verdienen, wenn man kleine Kinder hat oder Kinder in der Ausbildung sind. Sind sie ausgeflogen, brauchen die Eltern nicht mehr so viel Geld...
faktuell.ch: ... und wenn man keine Kinder hat oder sehr spät?
Peter Haudenschild: Da sind wir mittendrin, in der Frage der Finanzierung der Kosten des Nachwuchses, mittendrin im Generationenvertrag. Verursacherprinzip „Eltern“ oder später profitierende Gesellschaft? Ein Teil wird heute über Kinderzulagen bzw. im Alter über Kinderrenten gelöst. Und das finde ich vorerst gut so. Ich tendiere auch hier für eine möglichst liberale Lösung. Aber niemand soll wegen des Geldes auf Kinder verzichten müssen oder gar möglichst viele Kinder zeugen. In erster Linie haben die Eltern direkt für die Kosten aufzukommen und die Verantwortung zu übernehmen. Wer sich wirklich aus finanziellen Gründen ein Kind oder zwei Kinder nicht leisten kann, was nach klaren Regeln im Einzelfall zu prüfen ist, soll finanziell entsprechend seinen potenziellen Möglichkeiten von der Gesellschaft unterstützt werden. Das objektiv ungerechtfertigte Auseinanderdriften der Löhne im Alter – Stichworte „55-jähriger gutqualifizierter und arbeitswilliger Langzeit-Arbeitsloser“ bzw. „Bonus-raffender unfähiger CEO“ – ist ein echt ungelöstes Sozialproblem, und dem kommt man mit Vorschriften nicht bei.
faktuell.ch: In der Politik werden vor Wahlen stets neue, junge Kräfte gefordert. Sie aber sagen: Wir brauchen mehr Senioren. Wie kommen Sie darauf?
Peter Haudenschild: Ich bin kein Quotenfetischist. Aber die Senioren sind in unseren Parlamenten massiv untervertreten. Im aargauischen Grossen Rat hat es nach den jüngsten Wahlen noch 1 % Senioren. Nach Bevölkerungsstatistik müssten es um die 20 % sein. Im 125köpfigen Stadtzürcher Parlament stehen nur vier Politiker (3 %) im Pensionsalter – und dies bei einem Bevölkerungsanteil von rund 15 %. Im Nationalrat sind 15 Nationalräte und Nationalrätinnen im Seniorenalter statt 36 und im Ständerat 2 statt 8. Solche Missverhältnisse müssen korrigiert werden, wenn wir eine demokratische Gesellschaft bleiben wollen. Diese unhaltbare Situation ist zwar demokratisch zustande gekommen, das Resultat ist aber völlig undemokratisch, respektlos und diskriminierend gegenüber der Seniorengeneration.
faktuell.ch: Wie wollen sie die demokratische Gesellschaft «retten»?
Peter Haudenschild: Da muss man differenzieren: In der Politik kennen wir das Problem der Sesselkleber, also des Dienstalters. Es ist sicher berechtigt, jemanden darauf aufmerksam zu machen, dass der Zeitpunkt des Rücktritts gekommen wäre. Hingegen könnte ich als liberaler Mensch nie eine Dienstalterslimite unterstützen. Ich setze da auf Information, auf Bildung, auf Selbsteinsicht. Eine andere Sache ist das aktuelle Alter der Leute. Wenn ich sehe, dass praktisch 20% der Einwohner der Schweiz im Rentenalter sind, muss ich sagen, die haben doch auch ein Anrecht, an diesem Leben – und das heisst auch am politischen Leben – voll teilzuhaben, soweit sie das können. Retten? Ich zähle auf Information, Bildung und Respekt. Steter Tropfen höhlt den Stein.
faktuell.ch: Sie sind Mitglied des Stadtparlaments in Brugg und haben dieses Jahr als 69jähriger für die FDP als Grossrat im Kanton Aargau kandidiert. Sie wurden nicht gewählt. Wollen die Wähler keine Senioren oder warum sind Sie gescheitert?
Peter Haudenschild: Ich kann nur spekulieren. Ich bin im Seniorenbereich in der Stadt Brugg und im Bezirk relativ gut bekannt. Ich bin also kein Nobody, schon allein weil ich den Seniorenrat der Stadt präsidiert habe. Ich habe sehr auf die Senioren gezählt und auch entsprechende Werbung gemacht. Es ist für mich absolut enttäuschend – nicht so sehr wegen meiner Person –, dass im aargauischen Parlament auch der Seniorenanteil nochmals gesunken ist – von 6% auf 1%. Das tut mir weh.
faktuell.ch Welchen „Mehrwert“ hätten Sie im Grossrat im Vergleich zu einem halb so alten Politiker gebracht?
Peter Haudenschild: Ein altersmässig „Betroffener“ kann aus einer andern Sicht etwas einbringen als ein 25jähriger. Auf kantonaler Ebene etwa was Senioren direkt betrifft und sehr viel kostet: die Pflege, Spitex. Was auch unterschätzt und wenig diskutiert wird, ist die Bildung, der einzige Rohstoff in der Schweiz. Ein Senior hat sehr viel in die Bildung gesteckt und kann sich nach einem reichen Arbeitsleben anhand seiner Praxis vorstellen, was es heisst, wenn man von der Bildung profitiert oder eben nicht.
faktuell.ch: Unsere Gesellschaft legt Wert auf politische Korrektheit und hat die entsprechende Terminologie verinnerlicht. Nur für die Senioren ist nichts vorgesehen. „Überalterung“ ist schlecht, „Verjüngung“ gut. „Jung“ bedeutet Hoffnung, „alt“ nicht mehr weise, sondern überflüssig. Können wir mit neuen Wörtern Akzeptanz schaffen?
Peter Haudenschild: Sicher. Ich suche nach einem Wort für „Veralterung“, das ebenso sexy ist wie „Verjüngung“ – gerade bezogen auf das Parlament. Ich habe noch nichts gefunden, aber ich bleibe dran. Auf einen Aufruf sind bisher keine Vorschläge eingegangen. Ich will politische Korrektheit nicht überstrapazieren, aber nomen est omen gilt auch hier. Und wenn der Name schlecht besetzt ist, haben wir eben ein Problem.
faktuell.ch: Die „Senioren“ sind ja auch nicht mehr was sie einmal waren…
Peter Haudenschild: … meine Generation – ich bin Jahrgang 1947 – ist so zwischen 65 und 80 noch sehr aktiv und will interessanterweise zu einem grossen Teil noch ganz gerne arbeiten. Die Frage ist, wie viel, unter welchem Stress und wie die Tätigkeit entlöhnt werden soll. Die Menschen haben noch nie so lange gelebt und so gesund lange gelebt wie in meiner Generation. Und es ist ihnen finanziell – im Durchschnitt, das will ich betonen – noch nie so gut gegangen. So viel finanzielle Sicherheit wird die kommende Generation wohl nicht mehr haben. Hingegen ist es möglich, dass sie noch gesünder bleiben bis ans Lebensende.
faktuell.ch: Alte Menschen leben im Schnitt länger und kosten mehr. In Altersheimen betragen die monatlichen Kosten mit geringem Pflegeanteil Fr. 8000.-. Und im Altersheim landen viele Rentner, weil sie selbst mit Ergänzungsleistungen für die Miete ihrer Wohnung nicht mehr aufkommen können. Was läuft da schief?
Peter Haudenschild: Sehr schwierig zu sagen. Wir rechnen im Kanton mit Fr 9000.- pro Monat für ein Pflegeheim. Schief läuft, dass Senioren in Heime abgeschoben werden. Gegen ein Drittel der Bewohner von Pflegeheimen könnte wohl gut zu Hause mit Hilfe der Spitex leben. Stellen Sie sich mal vor, was da gespart werden könnte! Ich glaube daran, dass mehrere Generationen zusammenleben sollten und für die Alten auch gesorgt wird, wenn sie Pflege brauchen – falls es die Wohnverhältnisse erlauben.
faktuell.ch: Sie plädieren also dafür, die Idee der Grossfamilie zu reaktivieren und zu leben?
Peter Haudenschild: Absolut.
faktuell.ch: Neu geborene Schweizer haben mit den Menschen in ein paar wenigen Kleinstaaten wie Monaco, San Marino etc. mit die höchste Lebenserwartung der Welt. Sie sind Lebensversicherungsmathematiker. Was taugt eine solche Prognose?
Peter Haudenschild: Ich bin der Meinung, dass sie seriös ist und relativ genau eintreffen wird. Klar, sollte ein Atomkrieg angezettelt werden, dann sähe die Welt ganz neu aus. Doch im Ernst: Im Lebensversicherungsbereich sind die Prognosen sehr aussagekräftig...
faktuell.ch: … aber Sie können nicht bestreiten, dass Finanzprognosen oft völlig daneben liegen.
Peter Haudenschild: Sobald eine Prognose mit Finanzen verquickt wird, ist die Sache komplizierter. Nehmen wir die AHV, Einnahmen und Ausgaben, wo es um Franken und Rappen geht. Da spielt auch der Beschäftigungsgrad eine Rolle, die Frage, was die Arbeitnehmer verdienen, ob wir das System der Lohnbeiträge an die AHV beibehalten oder mehr auf Steuern wie die Mehrwertsteuer setzen wollen. Man hat bei der Finanzprognose also sofort viel mehr Parameter. Deshalb ist eine Finanzprognose deutlich weniger verlässlich als eine reine Altersprognose.
faktuell.ch: Der 70jährige Donald Trump verdankt seine Wahl den über 50jährigen Amerikanern, mithin vor allem den älteren Arbeitnehmern, deren Interessen er ansprach. In der Schweiz ist das offenbar anders. Hätten die Alten für die AHVplus-Initiative gestimmt, wäre sie mit Glanz und Gloria angenommen worden. Aber die Alten haben im Interesse der Jungen gestimmt. Was bringen mehr Senioren in den Parlamenten, wenn die alten Stimmberechtigten das Geschäft der wahl- und abstimmungsabstinenten Jungen besorgen?
Peter Haudenschild: In der Schweiz haben wir die Stärke der Bescheidenheit, weil wir auch ein kleines Land sind. Bescheidenheit ist nicht a priori schlecht. Aber es gibt gewisse Bereiche wie das Alter, in denen es sich zeigt, dass wir zu wenig selbstbewusst sind. Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein. Als Senioren, als Schweizer. Es passiert mir immer wieder, dass ich negative Bemerkungen einsacke, wenn ich in meinem roten Schweizerkäppi unterwegs bin. Unglaublich! In Amerika wird in den Schulen jeden Morgen die Fahne gehisst. Ob gut oder nicht, die Kinder erleben das. Sie sind stolz darauf. Ich wäre es auch.
faktuell.ch: Und das bedeutet, dass für die Schweizer Senioren…
Peter Haudenschild: ... dass man dafür sorgen muss, das Seniorensegment wieder mehr in die Gesellschaft zu integrieren, auch ins Arbeitsleben. Wann man in Rente gehen kann, ist auch eine politische Frage und es ist berechtigt, dass man diese gut prüft, weil die Leute tatsächlich unterschiedlich altern, und zwar nach Berufsgruppe. Bei all dem ist es wichtig, dass wir Schweizerinnen und Schweizer, ob alt oder jung, mit beiden Beinen auf dem Boden stehen und ein gesundes Selbstbewusstsein haben. Nur wenn ich mich selbst respektiere, kann ich dem andern Respekt entgegenbringen. Für mich, in meinem Alter, als Senior, ist Respekt zur zentralen Eigenschaft geworden, die ein friedliches, erfolgreiches – auch wirtschaftlich erfolgreiches – Zusammenleben garantiert.
Gesprächsführung für faktuell.ch: Elisabeth Weyermann
Zur Person:
Peter Haudenschild, Jahrgang 1947
Prof. em. Dr. oec.publ., war als Mathematiker in der Lebensversicherung tätig und dozierte an der FH Nordwestschweiz Betriebs- und Volkswirtschaftslehre. Er ist dipl. Pensionsversicherungsexperte und arbeitet seit seiner Pensionierung als selbständiger Wirtschaftsberater und dipl. Sporttrainer im In- und Ausland. Er präsidierte den Seniorenrat Stadt Brugg und engagiert sich zusammen mit dem Schweizerischen Seniorenrat gegen die Altersdiskriminierung. Haudenschild ist für die FDP Mitglied im Brugger Stadtparlament.
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