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Wie geht es der angeblichen "Patientin" AHV wirklich?

Die gute Nachricht: 2017 hat die AHV unter dem Strich mit einem Gewinn von rund einer Milliarde Franken abgeschlossen – dank einem Anlageergebnis in Höhe von zwei Milliarden Franken. Die schlechte Nachricht: Die AHV hat 2017 über eine Milliarde mehr ausgegeben als eingenommen. Wie seit Jahren überschlagen sich die Auguren trotz positivem Betriebsergebnis in Schwarzmalerei. Was sagen die Fakten?

 

Seit ihrer Einführung im Jahre 1948 hat die AHV 24mal mehr ausgegeben als eingenommen – 13mal wurde das negative Ergebnis dank dem Anlagenertrag in positive Rechnungssaldi gedreht, 11mal blieb das Umlageergebnis inklusive Anlageertrag negativ. 5mal wurde über eine Milliarde Franken mehr ausgegeben als eingenommen, 2mal gar über zwei Milliarden mehr. Aber 46mal lieferte die AHV insgesamt auch ohne Anlageerträge ein positives Umlageergebnis, weil sie mehr einnahm als ausgab.

 

Brandrote Zahlen am Stück gab es nur in den Jahren 1995 bis 1999, und zwar trotz Anlageerträgen, die dreimal über einer Milliarde lagen. Woran es lag, dass die Umlageergebnisse in diesen fünf Jahren absackten, ist schwer nachvollziehbar. Denn tatsächlich waren es die geburtenschwachen Jahrgänge 1930 bis 1934, die in diesen Jahren das Rentenalter erreichten – gleichsam die Anti-Babyboomer mit Geburtenraten, die im Durchschnitt 30'000 bis 40'000 Geburten unter jenen der stärksten Babyboomer-Jahrgänge der 1960er-Jahren lagen.

 

Bis Ende der 1980er-Jahre wurden die Anlageerträge etwas überspitzt ausgedrückt unter «nice to have» abgehakt, die Sicherheit der Anlage der AHV-Gelder war dem Zeitgeist entsprechend sakrosankt, die Börse noch nicht Volkssport. Damit ist gesagt: Es hätte mehr sein können, als die 41 Milliarden, die es total zwischen 1948 und 2017 als Anlagegewinne in die AHV-Kasse spülte. Substrahiert man davon die beiden einzigen negativen Anlageergebnisse, nämlich jene der Jahre 2002 (782 Mio.) und 2008 (4,3 Mrd.), bleibt ein Anlagegewinn von 36 Milliarden. Dividiert durch 70 Jahre ergibt dies einen jährlichen Gewinn-Durchschnitt von über einer halben Milliarde Franken. Allein in den letzten acht Jahren hat der Anlagegewinn die AHV-Ergebnisse um rund 10 Milliarden verbessert, was einem Jahresdurchschnitt von 1,25 Milliarden entspricht.

 

Für 2018 versprechen die Annahmen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (BSV) in den Finanzperspektiven bis 2035 erneut ein negatives Umlageergebnis (355 Mio.) und ein positives Anlageergebnis (1190 Mio.), d.h. mit einem positiven Rechnungssaldo von 835 Mio. Allerdings: 2017 lagen die BSV-Annahmen sowohl beim Umlageergebnis (minus 355 statt minus 1039 Mio.) als auch beim Anlageertrag (1190 Mio. statt 2012 Mio.) weit weg von einer Punkt-Landung.

 

Interessanter scheinen da ein paar oft ausgeblendete Betrachtungen zu Einnahmen, die der AHV vorenthalten werden, ihr aber eigentlich zustünden. Sie sagen etwas darüber aus, wie rundum gut es der AHV heute und noch einige weitere Jahre gänzlich ohne Eingriff gehen könnte.

 

Seit 1999 profitiert die AHV zwar vom sogenannten «Demografieprozent», allerdings kommen ihr davon nur 87 Prozent zu, 13 Prozent fliessen in die allgemeine Bundeskasse. Der AHV werden damit jährlich 350 Millionen vorenthalten – bis heute 6,65 Milliarden.

 

Die Schulden der IV bei der AHV wurden in den Jahren 2014 bis 2017 statt mit 2 nur mit 1 Prozent verzinst. Die AHV bekam dadurch 530 Millionen Einnahmen weniger als geplant.

 

Seit Inkrafttreten der Unternehmenssteuerreform II (USR II) nimmt die AHV jährlich über eine halbe Milliarde Franken weniger persönliche AHV-Beiträge ein als vorher. Dies legt den Schluss nahe, dass es sich um eine Auswirkung der Formel «Dividende statt Lohn» handelt. Anders als bei Lohneinkommen wird auf Dividendeneinkommen keine AHV-Abgabe fällig.

 

Vorab Selbständige der Berufsgruppen Ärzte, Anwälte und Architekten haben die Vorzüge der USR II zur Steueroptimierung rasch entdeckt. Andreas Dummermuth, Präsident der kantonalen Ausgleichskassen, beklagt denn auch seit Jahren dieses «Einnahmenproblem» der AHV. 

 

Im Abstimmungsbüchlein zur USR II hatte die Eidgenössische Steuerverwaltung festgehalten: «Kurzfristig müssen die Sozialwerke mit Mindereinnahmen von schätzungsweise 86 bis 130 Millionen Franken rechnen (bei gesamthaften Einnahmen des AHV-Fonds von mehr als 27 Mrd. Franken). Dank der Wachstumsimpulse der Reform werden AHV, IV und EO langfristig jedoch Mehreinnahmen von schätzungsweise 23 bis 67 Millionen Franken pro Jahr zufliessen.»

 

Tatsächlich zeigt ein Blick auf die AHV-Statistik seit Einführung der USR II anderes:  Die Einnahmen aus persönlichen Beiträgen sanken mit einem Schlag von 2,7 auf 2,2 Milliarden Franken. Bis heute haben sie sich nur noch geringfügig verändert, während die Lohnbeiträge im gleichen Zeitraumen entsprechend der Zunahme der unselbständigen Beitragszahler sukzessive zulegten.

 

Fazit: So gesund, wie die angebliche «Patientin» AHV heute ist, möchten viele wirklich Kranke sein. Eine solide wirtschaftliche Entwicklung und eine ausreichend sozialabgabenpflichtige Zuwanderung vorausgesetzt, kann die AHV auch 2018 ein positives Betriebsergebnis einfahren – das siebte seit 2010! Es bleibt mithin genug Zeit, eine Lösung für die allfälligen Probleme der Zukunft zu finden – der Blick auf die demografische Entwicklung ist bei Licht betrachtet etwas gar einseitig.