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Kommen "Babyboomer" ab Jahrgang 1950 vermehrt ohne EL aus?

12,5 % aller AHV-Rentner (204'800) und 46,7 % aller IV-Rentner (114'000) haben 2017 steuerbefreite Ergänzungsleistungen (EL) erhalten. Nie zuvor seit Einführung der EL im Jahre 1966 bezogen prozentual mehr Invalidenrentner EL.

 

Von den 322'780 Personen mit EL-Bezug waren 8'067 unter 26, 52'817 zwischen 26 und 49, 41'583 zwischen 50 und 59, 28'628 zwischen 60 und 64, 112'843 zwischen 65 und 79 sowie 78'842 über 79.

 

Die Gesamtausgaben für EL zu AHV und IV stiegen im Vergleich zum Vorjahr weniger als 40 Millionen auf 4,939 Milliarden Franken (AHV: 2,9 Mrd., IV: 2 Mrd.). Dies ist die geringste Zunahme seit 1985. Noch etwas länger ist es her, seit die EL im Vergleich mit dem Vorjahr rückläufig waren: Von 1974 auf 1975 reduzierten sie sich um knapp 20 Millionen. Seither entwickeln sie sich nur noch in die eine Richtung: aufwärts.

 

Aber es sind kleine «Lichtblicke» zu vermelden, die in der verbreiteten Demographie-Hysterie leicht unterzugehen drohen: Alle Aufwärtsbewegungen (Anzahl Beziehende, Gesamtkosten EL) wachsen bemerkenswerterweise seit 2015 weniger stark als in früheren Jahren. 2015 entspricht dem Pensionierten-Jahrgang 1950.

 

Bemerkenswert darum: Es könnte sein, dass sich in der abgeschwächten Zunahme der EL-Kosten und der Anzahl EL-Beziehenden die verbesserte finanzielle Situation der Neurentner und ihren Bezügen aus der seit 1985 obligatorischen zweiten Säule manifestiert.

 

Ob sich dies bestätigt, wird sich spätestens ab dem Jahr 2025 zeigen. Dann wird das auf 40 Jahre ausgelegte Anspar-Modell der zweiten Säule den ersten vollständigen Durchlauf in der Praxis absolviert haben (Jahrgang 1960). Ab den Jahren 2025 bis 2035 werden die ganz grossen Jahrgänge des Babybooms in Rente gehen, die nach Massgabe der 1985 abgegebenen Versprechen mit den Renten aus AHV und Pensionskasse kaum auf EL angewiesen sein sollten.

 

Die Bundesstatistiker begründen die bereits bemerkte geringe Zunahme der EL-Bezüger und der EL-Kosten 2017 auch damit, dass die Zahl der EL-Beziehenden in Heimen im Vergleich zum Vorjahr um 0,3 Prozent abgenommen hat. Ferner verweisen sie auf die 2011 eingeführte neue Pflegefinanzierung, mit der ein Teil der Finanzierung aus der EL ausgelagert wurde (und sich als Betrag in einer anderen kantonalen Sozialleistung wiederfindet). 

 

Ergänzungsleistungen, zuweilen auch als „Vierte Säule“ bezeichnet, werden seit 1966 ausgerichtet. Sie decken bei Alters- und Invalidenrentnern die Lücke zwischen Einkommen und Existenzbedarf. Damals, im ersten Jahr, entfielen von den gesamten EL-Leistungen 82,8 Prozent auf AHV- und 17,2 Prozent auf IV-Renten. Heute sind es 58,9 Prozent (AHV) und 41,1 Prozent (IV).

 

Die mit den Ergänzungsleistungen garantierte Existenzsicherung umfasst einen Pauschalbetrag für den allgemeinen Lebensbedarf von maximal 19'290 Franken für Alleinstehende und 28'935 Franken für Ehepaare sowie 10'080 Franken pro Kind (ab dem dritten Kind weniger). Hinzu kommt die Vergünstigung der Mietkosten bis zur Höhe von 13'200 Franken (Alleinstehende) und 15'000 Franken (Ehepaare). Zusätzlich werden separat Krankheits- und Behinderungskosten wie Zahnarztkosten, Pflege- und Betreuungskosten zuhause sowie die Krankenkassenprämien vergütet.

 

Rund 16 Prozent aller Personen mit Prämienverbilligungen sind EL-Beziehende. Auf sie entfallen 1,7 Milliarden der Gesamtausgaben für Prämienverbilligungen von zuletzt 4,4 Milliarden. Der hohe Anteil ist darauf zurückzuführen, dass Personen mit EL in der Regel die gesamte Krankenkassenprämie vergütet wird, bei den andern meist nur ein Teilbetrag.

 

Ergänzungsleistungen spielen bei der Finanzierung des Aufenthalts in Alters- und Pflegeheimen eine besonders grosse Rolle. Rund 50 Prozent aller Heimbewohner sind auf EL-Leistungen angewiesen, wobei zu beachten ist: Die EL zur Finanzierung des Heimaufenthalts ist rund dreimal grösser als der EL-Betrag für eine Person zuhause mit oder ohne Spitex-Betreuung. 2017 wohnten rund 72'000 der 323'000 Personen, die eine EL beziehen, in einem Heim: 50'000 werden mit EL zur AHV, 22'000 mit EL zur IV mitfinanziert. Gut 40 Prozent aller EL-Ausgaben entstehen durch heimbedingte Mehrkosten.

 

Seit 2008 wird bei den EL-Ausgaben zwischen Ausgaben zur Existenzsicherung und „heimbedingten“ Kosten unterschieden. Bei den EL zuhause gelten die gesamten periodischen EL als Existenzsicherung. Bei EL-Fällen im Heim wird der Anteil der Existenzsicherung in einer Ausscheidungsrechnung ermittelt. Es wird berechnet, wie hoch die EL wären, wenn eine Person statt im Heim zu Hause leben würde. Existenzsicherung plus heimbedingte Mehrkosten entsprechen der periodischen EL.

 

Fazit: Insgesamt setzen die grosszügigen Ergänzungsleistungen sowohl bei den Invalidenrentnern als auch bei den Altersrentnern eine Reihe von Fehlanreizen, sofern angestrebt wird, ihre Arbeitskraft bestmöglich bzw. so lang wie möglich zu nutzen und die Zunahme der EL-Gesamtkosten zu lindern. Letzteres hat sich der Bundesrat mit der laufenden EL-Reform in den eidgenössischen Räten zum Ziel gesetzt. Angesprochen sind damit nicht nur AHV und IV, sondern nicht zuletzt die Berufliche Vorsorge (BV) der 2. Säule (Kapitalbezug, allfällige Sanktionen, Vermögensschwelle, Erbenschutz).

 

 

 

Textquellen: BSV, BFS, SECO-Studie

 


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