faktuell.ch im Gespräch mit Dr. iur. Eduard Gnesa, ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Migration, Sonderbotschafter für internationale Migrationszusammenarbeit und gegenwärtig vom Staatssekretariat für Migration (SEM) Beauftragter für Flüchtlinge und Wirtschaft.
faktuell.ch: Herr Gnesa, Sie haben im Auftrag des SEM eine Verbesserung der Integration von
Flüchtlingen (FL) und vorläufig Aufgenommenen (VA) in den Arbeitsmarkt geprüft. Grundtenor der Arbeitgeber: Im Prinzip beschäftigen wir gern FL und VA. Aber die bleiben nicht lang, die Ausbildung
lohnt sich nicht.
Eduard Gnesa: Das SEM und der Bundesrat gehen davon aus, dass die meisten anerkannten Flüchtlinge in der Schweiz bleiben. Eine Ausnahme kann sein, dass sich die Lage im Herkunftsland beruhigt und die Flüchtlinge wieder dorthin zurückkehren. Im Parlament wird darüber diskutiert, ihren Status zu verbessern, wie dies auch in verschiedenen Studien angeregt worden ist.
faktuell.ch: Viele Bürger verstehen das nicht. Die VA haben kein Bleiberecht in der Schweiz. Sie müssen, sobald sich die Lage bei ihnen zuhause verbessert hat, wieder ausreisen. Wenn Sie aber die VA aktiv in den Arbeitsmarkt integrieren, dann wirkt unsere Asylpolitik doch wie eine Farce.
Eduard Gnesa: Von den VA bleiben ca. 90 Prozent. Wird z.B. ein junger Syrer vorläufig aufgenommen, der wegen dem Krieg geflohen ist, ohne aber persönlich politisch verfolgt zu sein, dann wird die vorläufige Aufnahme meistens zum Daueraufenthalt, wenn der Krieg anhält. Das Wort «vorläufig» macht es schwierig für die Arbeitgeber. Bei meinen 50 Interviews war es auch mein Auftrag, ihnen zu sagen, dass viele VA bleiben. Das ist die Realität.
faktuell.ch: Das müsste den Schweizern aber auch einmal unmissverständlich klar kommuniziert werden…
Eduard Gnesa: …richtig.
faktuell.ch: Sie machen in ihrem Bericht drei Schlüsselempfehlungen, mit denen sich die Hürden bei der Anstellung abbauen lassen. Die erste lautet auf Information und Vernetzung. Zu früher Potenzialabklärung und zu Job Coaching rät die zweite Empfehlung. Beide Punkte sind Teil der Integrationsagenda Schweiz und werden ab 2019 bereits umgesetzt. Inwiefern verbessert die Potenzialabklärung die Lage der Flüchtlinge?
Eduard Gnesa: Wenn ein anerkannter Flüchtling länger in Durchgangszentren ist und höchstwahrscheinlich in der Schweiz bleibt, ist es sinnvoll zu wissen, welche beruflichen Qualifikationen bzw. Kompetenzen er mitbringt. In den Bundeszentren wird in Zukunft noch mehr triagiert. Es gibt z.B. Asylbewerber aus dem Balkan, die gehen müssen, weil dort keine Verfolgung mehr vorkommt und es Rückübernahmeabkommen gibt; diese Personen bleiben bis zur Ausreise im Bundeszentrum. Wo das SEM aber für das Asylverfahren mehr Zeit braucht, werden die Asylbewerber nach ca. einem Monat den Kantonen übergeben. Für diese Personen wäre es sinnvoll, wenn anerkannte und erfahrene Organisationen eine erste Potenzialabklärung machen könnten, z.B. über die Qualifikationen, Diplome, Berufserfahrung etc. So kann man von den Bundeszentren aus auch besser steuern. Ein Beispiel: Informatiker und Informatikerinnen muss man nicht unbedingt in grosser Zahl in die Bergkantone schicken, sondern eher nach Zürich, Lausanne oder Genf. Anderseits würde es wohl auch Sinn machen, einen Teil der Flüchtlinge mit Erfahrung im Gastgewerbe Tourismuskantonen zuzuteilen. Das SEM könnte zu den Potentialabklärungen einen Leitfaden erstellen.
faktuell.ch: Beispiel Eritreer. Die meisten jungen Eritreer bezeichnen sich offenbar als Schafhirten. Was soll bei ihnen die Potenzialabklärung konkret bringen?
Eduard Gnesa: Zugegeben, anders als bei anderen Flüchtlingen ist die Potentialabklärung bei den Eritreern oft schwierig, weil sie im Militärdienst – dem häufigsten Fluchtgrund – wenig gelernt haben, was auf unserem Arbeitsmarkt gefragt ist. Wenn jemand bei der Potentialabklärung Erfahrungen in der Landwirtschaft vorweisen kann, dann ist das Pilotprojekt des SEM und des Schweizerischen Bauernverbands ein guter Anfang. Die Evaluation der Berner Fachhochschule zeigt, dass ein Grossteil der Teilnehmenden auf dem Arbeitsmarkt Fuss fassen konnte. Ich bin der Meinung, dass diesbezüglich die Musik in den Kantonen spielt. Viele sind denn auch zurzeit daran, die Integrationsagenda von Bund und Kantonen umzusetzen.
faktuell.ch: Und wenn die Asylbewerber nicht kooperativ sind?
Eduard Gnesa: Wir können sie deswegen sicher nicht einsperren. Aber wir können – wie dies der Kanton Graubünden bereits erfolgreich praktiziert – Anreize schaffen. Wer beruflich weiterkommt, kann zum Beispiel von einer Gemeinschaftsunterkunft in eine Wohnung umziehen.
faktuell.ch: Nehmen wir das andere Ende des Spektrums: Ein aus Syrien geflüchteter Arzt, dessen Diplome, sofern er überhaupt welche vorweisen kann, nicht anerkannt sind. Wie geht da die Potenzialabklärung?
Eduard Gnesa: Er müsste zuerst die Sprache lernen. Und dann – sofern das Diplom in der Schweiz nicht anerkannt ist – die erforderlichen Zusatzleistungen erbringen und allenfalls kann er in anderer Funktion im Gesundheitsbereich tätig sein. Das bringt ihn wieder auf die richtige Schiene. Das ist ein schwieriger Fall, aber auch ein seltener…
faktuell.ch: … weil es wenig Akademiker unter den Asylbewerbern gibt?
Eduard Gnesa: Nur ein Fünftel verfügt über eine Ausbildung auf der Sekundar- oder gar Tertiärstufe.
faktuell.ch: Andersrum. Es gibt heute so viele Start-ups und innovative Kleinunternehmen. Sind konventionelle Diplome heute noch zwingend?
Eduard Gnesa: Es kommt auf den Bereich an. In Bern hat z.B. ein junger IT- Unternehmer ein Inserat geschaltet, das sich an anerkannte Flüchtlinge richtete. Es solle sich melden, wer im Herkunftsland in der Informatik gearbeitet oder studiert habe. Der Mann hat Erfolg und bringt 70 bis 80 Prozent der anerkannten Flüchtlinge in die Erwerbstätigkeit. Jetzt kommen wir zur Bedeutung der Sprache bei der Integration. Wir sagen immer, man müsse zwingend eine Landessprache lernen. Das stimmt für die überwiegende Mehrheit der Flüchtlinge ganz sicher. Aber die jungen Informatiker können erst einmal mit Englisch in die Arbeit einsteigen. Sie sehen: die Ausgangslage für Menschen, die in die Schweiz kommen, kann sehr unterschiedlich sein. Dem muss man bei der Potentialabklärung auch Rechnung tragen.
faktuell.ch: Job Coaching für jeden Flüchtling und VA. Hört sich an wie eine massive Ungleichbehandlung gegenüber arbeitslosen Schweizern, die sich beim Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum RAV melden müssen und keine Unterstützung erhalten?
Eduard Gnesa: Nochmals: Die allermeisten Flüchtlinge und die meisten VA bleiben. Das ist die Realität. Wenn ein 25-jähriger Asybewerber als Flüchtling anerkannt wird und bis zum Pensionsalter nie arbeitet, dann kostet er die Steuerzahler eine Million Franken. Das Job Coaching soll ihm helfen, rasch einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und damit sein Leben zu finanzieren und sich zu integrieren. Dass es manchmal auch Vermittlung braucht, zeigt eine Episode, die mir der CEO einer grossen Schweizer Baufirma erzählt hat: Ein anerkannter Flüchtling aus Afghanistan ist ein hervorragender Mitarbeiter. In der Sommerhitze bestand die Gefahr eines Unfalls auf der Baustelle, weil er als Muslim während des Ramadans nichts trinken wollte. Der Chef sagte sich, dass vielleicht ein Imam weiterhelfen könnte. Gesagt, getan. Der Imam erklärte dem Arbeiter, dass man laut Koran bei schwerer Arbeit oder Krankheit trinken darf. Problem gelöst.
faktuell.ch: Stehender Vorwurf: FL und VA konkurrenzieren die Schweizer auf dem Arbeitsmarkt.
Eduard Gnesa: Sehen wir uns die Zahlen im Bereich der wenig qualifizierten Arbeitskräfte an: 37'220 Personen waren 2017 arbeitslos. Das sind 27,3 Prozent aller Arbeitslosen. Und trotzdem werden für Tätigkeiten, die wenig qualifizierte Arbeitskräfte ausüben können, nach wie vor Personen aus dem Ausland rekrutiert. Es wäre doch sinnvoll, auch die Flüchtlinge zu berücksichtigen, weil sie bereits in der Schweiz sind und auch hier bleiben. Es ist weiter zu bedenken, dass genau ein Prozent aller Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz Flüchtlinge und VA sind, also etwa 80`000. Wir können es uns leisten, diese Menschen auszubilden und zu integrieren; das kostet uns auf längere Sicht weniger.
faktuell.ch: Ihre dritte Empfehlung: «Anreize für Arbeitgeber», weil diese angeblich mehr Aufwand haben mit Flüchtlingen. Heisst dies, dass eine Firma subventioniert wird, wenn sie Flüchtlinge anstellt und dann de facto zur Sozialfirma mutiert?
Eduard Gnesa: Mehr als die Hälfte der Arbeitgeber, die ich interviewt habe, brauchen gar keinen Anreiz, wenn die Mitarbeiterin, der Mitarbeiter die Anforderungen an die Qualifikation erfüllt und ganz normal einen GAV-Mindestlohn bezieht. Im Pflegebereich und im Gastgewebe hingegen ist den Arbeitgebern beispielsweise die Sprache sehr wichtig, denn mit Patienten und Gästen sollte es keine Missverständnisse geben. Der Kanton Graubünden hat ein Teillohnmodell „Teillohnplus“ eingeführt, das gut funktioniert. Am Projekt Teilnehmende können während eineinhalb Jahren Berufserfahrung in einem Betrieb sammeln. Ende Monat erhalten sie einen Teillohn, der mit Sozialhilfe aufgebessert wird. Der Lohn steigt von anfänglich 500 auf 2'500 Franken. Der Arbeitgeber verpflichtet sich, die Mitarbeitenden berufspraktisch zu qualifzieren. Das Projekt ist erfolgreich, denn 84 Prozent der Teilnehmenden fanden nach Aneignung der Berufserfahrung eine Festanstellung oder konnten eine Berufslehre beginnen…
faktuell.ch: … wie eine Lehre…
Eduard Gnesa: … ja, zum Teil wie eine Vorlehre. Und das ist ja auch der Grund, weshalb der Bundesrat jetzt 54 Millionen Franken für die Integrationsvorlehre bereitstellt. 18 Kantone machen mit. Im Lauf eines Jahres wird sich herausstellen, welche Eignung eine Person hat. Mechaniker, Coiffeuse oder was auch immer. Das ist ein erster Schritt und den finde ich sehr gut. Es ist bei den Arbeitgebern auch sehr positiv angekommen, dass die Kantone jetzt statt 6000 Franken als Integrationspauschale pro Flüchtling neu 18‘000 erhalten. Damit kann man auch Potenzialabklärung und Job Coaching finanzieren.
faktuell.ch: Das Bundesamt für Migration hat 2014 erstmals eine sogenannte Verlaufsstudie über die Erwerbstätigkeit der Asylbewerber in der Schweiz durchgeführt. Zeitraum 1997 bis 2012, also vor der grossen Flüchtlingswelle. Erkenntnis: Nach zehn Jahren haben 26 Prozent der Menschen, die ganz oder vorläufig in der Schweiz bleiben, keinen Tag gearbeitet. Weil sie die Sprache nicht genügend beherrschen oder keine Lust haben, einer Arbeit nachzugehen, die tieferen Status hat als ihre Funktion in ihrer Heimat. Von Sozialhilfe lebt es sich gut. Was bringen da Potenzialabklärung und Job Coach?
Eduard Gnesa: Wenn eine Person sich nicht integrieren will, kann man allenfalls auf der Grundlage des jeweiligen kantonalen Sozialhilfegesetzes Sanktionen gegen sie ergreifen. Wer guten Willen zeigt, soll Anreize erhalten. Es gibt aber auch Flüchtlinge, die über 55 sind, vielleicht gefoltert wurden und unter Traumata leiden. Diese bringen wir nie auf den Arbeitsmarkt. Sie sind für immer auf Sozialhilfe angewiesen. Aber ihre Unterstützung gehört zu unserer humanitären Tradition...
faktuell.ch: … und was ist mit den Jungen, die unter die Integrationsagenda des Bundes fallen?
Eduard Gnesa: Genau um die geht es mir! Potenzialabklärung und Begleitung durch den Job Coach. Gute Beispiele können viel auslösen. Als anerkannte Flüchtlinge wissen sie, dass sie in der Schweiz bleiben können, und richten sich oft nach ihren gleichaltrigen Freunden aus. Wenn sie sehen, dass diese dank einer Arbeit etwas erreicht haben, auf eigenen Füssen stehen, ein tolles Motorrad haben etc., dann möchten sie das auch und bemühen sich um einen Job.
faktuell.ch: Die erwähnte Studie zeigt auch: Zehn Jahre nach Einreise arbeiten von den Personen mit Härtefall-Regelung über 60 Prozent. Von den Flüchtlingen 47 Prozent, VA 25 Prozent. Empfehlung der Autoren: Für den Zugang auf den Arbeitsmarkt sollen FL, VA und Härtefälle den Personen mit C-Ausweis (unbefristete Aufenthaltsbewilligung) gleichgestellt werden. Was halten Sie davon?
Eduard Gnesa: Wir müssen aufpassen, dass Flüchtlinge mit Ausweis B nicht gegenüber den EU-Bürgern privilegiert werden. Bei VA wäre es aber sinnvoll, ihnen nach einer gewissen Zeit einen Ausweis B zu geben, dessen Berechtigung man jeweils nach ein oder zwei Jahren überprüfen könnte. Dafür müssten sie arbeiten und keine Sozialhilfe beziehen. Dann sind sie den anderen Ausländerinnen und Ausländern in der Schweiz gleichgestellt. Wenn sie die Auflagen nicht erfüllen und auf Dauer sozialhilfeabhängig sind, müssen sie unter Umständen die Schweiz verlassen wie andere Ausländer und Ausländerinnen mit Ausweis B.
faktuell.ch: Das ist eine Idee für die Zukunft.
Eduard Gnesa: Ja, man sollte sie prüfen. Man belohnt die VA, die sich in den Arbeitsmarkt und in unsere Gesellschaft integriert haben, mit einem neuen Status, der ihre Integrationsbereitschaft einbezieht. Das würde auch die andern motivieren. Den C- Status kann man den VA nicht von Beginn an geben, das wäre ein Pull-Faktor. Ein VA ist nicht politisch verfolgt, er ist nur hier, weil in seinem Land Krieg oder politische Unruhe herrscht.
faktuell.ch: Im Dezember wird der UNO-Migrationspakt unterzeichnet. Er ist rechtlich unverbindlich, für die Unterzeichner-Nationen aber doch ethisch einzuhalten. Dieser Pakt befreit Migranten explizit von der Verpflichtung, sich in die Kultur des Aufnahmelandes zu integrieren. Flüchtlinge bringen wie Migranten, also Ausländer mit Arbeitsvisum, auf dem Arbeitsmarkt eine fremde Kultur ein. Der muslimische Flüchtling weigert sich, seine Frau arbeiten zu lassen. Gibt es nicht in seiner Kultur. Der Migrant aus Indien wird sagen, dass es seiner Kultur entspricht, erst gegen 11 Uhr einzutrudeln, wenn Arbeitsbeginn um acht Uhr ist. Wie soll ein Land damit umgehen?
Eduard Gnesa: Der Migrationspakt enthält 23 Ziele. Diese Ziele, so stellt auch der Bundesrat fest, entsprechen voll und ganz unserer Migrationspolitik. Um diese zu erreichen, gibt es Instrumente. Jetzt zum Kulturbegriff. Was der Pakt meiner Meinung nach dazu sagen will, ist, dass der Ausländer, die Ausländerin sich nicht assimilieren muss. Es gibt Staaten wie Frankreich, die mit Assimilation eine schlechte Erfahrung gemacht haben. Siehe Bidonvilles in Paris und um Marseille. Einem Neuankömmling zu sagen, er sei vom ersten Tag an Franzose funktioniert nicht. Integration in der Schweiz heisst, unsere Verfassung anzuerkennen. Die ganze Wertekulturdebatte ist in der Schweiz gar nicht notwendig. Es steht alles in der Verfassung: beispielsweise Gleichberechtigung Mann/Frau, Religions- und Kultusfreiheit, Respektierung und Beachtung der Grundrechte. Und das Ausländer- und Integrationsgesetz sieht vor, dass die Schweiz als Aufnahmeland von den Migrantinnen und Migranten generell eine Bereitschaft zur aktiven Integration und zur Partizipation einfordert. Der Pakt widerspricht dem nicht. Der Flüchtling muss deswegen nicht seine Kultur aufgeben. Er muss nicht mit mir jassen oder im Kirchenchor mitsingen.
faktuell.ch: Am meisten Probleme bei der Integration machen offensichtlich die Muslime.
Eduard Gnesa: Ich bin gegen eine Verallgemeinerung. Richtig ist aber, dass die Gesetze für alle gelten. Bemerkenswert finde ich, dass der Europäische Gerichtshof das Burkaverbot in Frankreich geschützt hat mit dem Argument, in der europäischen Kultur sei anerkannt, dass wir einander ins Gesicht und in die Augen sehen. Ich bin auch der Ansicht, dass muslimische Mädchen am Schwimmunterricht in der Schule teilnehmen sollen. Ausserdem haben wir in der Schweiz das Polygamie-Verbot.
faktuell.ch: Mancherorts wird das Polygamie-Verbot in der Schweiz umgangen, indem die Sozialhilfe mehrere Frauen des Muslims einfach als Haushaltsmitglieder führt. Denn es sei dem Mann nicht zumutbar, sich für nur eine Frau entscheiden zu müssen und die andere oder die anderen in seinem Land auf sich allein gestellt zurückzulassen…
Eduard Gnesa: Mir sind solche Fälle nicht bekannt. Generell kann ich aber sagen, dass Ausländerinnen und Ausländer im Grossen und Ganzen – auch im Vergleich zu EU-Staaten – in unserem Land gut integriert sind. Das geht aus einem Bericht zur Integration des Bundesamtes für Migration von 2006 hervor, den der damalige Bundesrat Blocher in Auftrag gegeben hatte. Natürlich hat der Bericht auch Mängel benannt; er hat Probleme nicht verschwiegen und Massnahmen aufgezeigt, wie man zu Lösungen kommt.
faktuell.ch: Sie haben schon angedeutet, dass Anreize und auch Sanktionen im Asylbereich sinnvoll sein können. Unter dem Motto «Arbeit statt Sozialhilfe» will selbst die früher eher milde gestimmte Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe (SKOS) die Leute in die Pflicht nehmen. Sie verlangt, dass die Verpflichtung, einen Berufseinstiegskurs zu absolvieren, im Asylrecht verankert wird. Wer das nicht tut und auch die Beschäftigungsprogramme schwänzt, wird sanktioniert. Ihre Einschätzung?
Eduard Gnesa: Das ist ein möglicher Ansatz. Der andere Ansatz ist, wie erwähnt, mit Anreizen zu arbeiten: jemandem den Aufenthaltsstatus früher zu geben oder jemanden bei der Wohnungssuche zu privilegieren. Es darf bei den FL, die ohnehin hierbleiben, nicht der Eindruck entstehen, dass im reichsten Land der Welt die Sozialhilfe ohne Gegenleistung endlos für sie aufkommt. Dem gilt es entgegenzuwirken, weil mangelnde Integrationsbereitschaft auch zu Fremdenfeindlichkeit führen kann, was wir im Interesse aller verhindern wollen.
faktuell.ch: Sie haben mit Ihrem Bericht für das SEM die Vorlage zu einer besseren Integration der Flüchtlinge und VA in den Arbeitsmarkt gegeben. Was muss erfüllt sein, damit Sie sich zufrieden zurücklehnen und sagen können: Ziel erreicht?
Eduard Gnesa: Was mit den Empfehlungen konkret passiert, muss nun das Staatsekretariat für Migration entscheiden. Wir haben zwei gute Grundlagen: Die Integrationsagenda des Bundes und der Kantone. Dann haben wir das Ergebnis meiner Interviews mit den Arbeitgebern, das zeigt, dass der Wille ihrerseits da ist, Flüchtlinge anzustellen – vorausgesetzt, sie bringen die richtige Qualifkation mit.
faktuell.ch: Wie soll der Informationsaustausch, die Erfolgskontrolle stattfinden?
Eduard Gnesa: Ein runder Tisch mit Arbeitgebern, Bund und Kantonen ist unter den Empfehlungen, aber vor allem in den Kantonen sollten sich Arbeitgeber und kantonale Stellen vermehrt treffen und Best practices austauschen. Laut einer OECD-Studie sind 70 bis 80 Prozent der Arbeitgeber in Europa zufrieden mit Flüchtlingen als Mitarbeitern. Wenn sich das multipliziert, man den Arbeitgebern die Befürchtungen nehmen kann, dann haben wir in gewissen Branchen zumindest zum Teil die fehlenden Arbeitskräfte, und diese müssen nicht mehr im Ausland rekrutiert werden. Letztes Jahr blieben von 10‘000 angebotenen Lehrstellen ganze 7000 offen. Ich habe bei den Arbeitgebern gespürt, dass sie auch deshalb interessiert sind, Flüchtlinge anzustellen, und sich auch bewusst sind, dass sie eine soziale Mitverantwortung tragen.
faktuell.ch: Wie sieht es denn mit den bisherigen konkreten Erfahrungen der Arbeitgeber mit Flüchtlingen aus?
Eduard Gnesa: Ich habe von guten Erfahrungen auf dem Bau, in der Pflege oder in der Gastronomie gehört. Zudem berichtete mir ein Unternehmer, er habe vor Jahren „boat people“ aus Vietnam angestellt. Deren Nachkommen arbeiteten jetzt auch bei ihm und seien sehr gute Mitarbeiter.
faktuell.ch: Und welches ist bisher ihr erfreulichster best practice-Erfolg?
Eduard Gnesa: Ich habe die Privaten zu einem Austausch unter sich ermuntert – ohne den Bund: Im November 2017 führten verschiedene Unternehmungen eine Tagung zu dieser Thematik durch, darunter Planzer, IKEA, SBB, Migros etc. Das war eine ausgezeichnete Veranstaltung. Die Arbeitgeber waren unter sich, konnten sich gegenseitig auch die Schwierigkeiten aufzeigen. Der Unternehmer muss es auch aushalten, wenn ihm Einheimische vorwerfen, dass er Flüchtlinge anstellt. Aber mit der Zeit spielt sich das ein und am Schluss sind die meisten zufrieden…
faktuell.ch: … und Sie auch?
Eduard Gnesa: Ich bin zufrieden, wenn es so läuft. In der Schweiz haben wir Föderalismus, Kleinräumigkeit, ein gutes Bildungssystem, einen offenen Arbeitsmarkt, 2,6 Prozent Arbeitslosigkeit, Wohlstand, keine Parallelgesellschaft, keine Ghettos, sprachliche und religiöse Vielfalt. Ja wann, um Himmels willen, sollte es uns denn gelingen, Flüchtlinge auf den Arbeitsmarkt zu bringen, wenn nicht jetzt! Das ist meine Message. Und dann muss man ehrlicherwiese auch sagen, wo die Haken sind: mangelnde Sprachkenntnisse, anderer Kulturbereich, schwierige Integration. Dies aAlles offen darlegen. Wenn man das so macht, auch mit den Unternehmern, dann, habe ich gemerkt, ist der Wille da. Ich hoffe, dass es so weitergeht.