Die nach wie vor verschuldete Arbeitslosenversicherung (ALV) unterstützt mit Steuergeldern Gewinn maximierende Arbeitslosenkassen – vorab jene, die pauschal abrechnen. Fakenews? I wo!
Zunächst zu den Zahlen des Jahres 2017, wie sie das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in seinem Jahresbericht festhält. Die ALV hat 2017 mit einem Gewinn von knapp 400 Millionen abgeschlossen, unter dem Strich bleibt aber eine Schuld von knapp einer Milliarde Franken, plus ein laufendes Darlehen von 2,5 Milliarden Franken.
Gut 500 Millionen Franken oder 0,159 Prozent der beitragspflichtigen Lohnsumme betragen die Leistungen des Bundes an die ALV. Der Bund beteiligt sich damit an den Kosten für Vermittlung und arbeitsmarktliche Massnahmen, heisst es in der Staatsrechnung des Bundes zur Verwendung dieser Steuergelder.
Diese halbe Milliarde findet in den Berechnungen der Verwaltungskosten der ALV durch die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) ebenso wenig statt wie in einer Evaluation des Steuerungssystems der Arbeitslosenkassen in einer Studie des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO), beides publiziert 2018.
Gemäss EFK und SECO belaufen sich die Verwaltungskosten der ALV auf rund 200 Millionen Franken. Ein Viertel oder 50 Millionen davon könnten eingespart werden, wenn alle 33 Arbeitslosenkassen so effizient arbeiten würden wie die beste von ihnen.
Geht es nach dem Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) belaufen sich die Verwaltungskosten der ALV, die in den letzten 20 Jahren explodierten, nicht nur auf 200, sondern auf über 700 Millionen Franken, 2017 auf genau 727,6 Millionen und damit 1,2 Prozent mehr als im Vorjahr.
Die Differenz zwischen EFK und BSV entspricht exakt der halben Milliarde, die der Bund gesetzlich gebunden an die ALV überweist. Daran ist nichts anstössig, ebenso wenig wie zum Beispiel an der gesetzlich gebundenen 20prozentigen Bundesunterstützung der AHV (inkl. zwei Raucher-Milliarden und 500 Spielkasino-Millionen).
Was die ALV-Unterstützung unterscheidet, ist die Praxis der 33 Arbeitslosenkassen. Es geht dabei um Gewinnmaximierung. Und, etwas brisanter, es geht um Gewinnverteilung.
Doch eins nach dem andern.
«Die Anzahl der Akteure im Bereich der ALV ist sehr umfangreich», schreibt die EFK in ihrer Untersuchung und empfiehlt eine Schlankheitskur. Denn bei Lichte betrachtet ist die ALV ein Bürokratiemonster: 25 öffentliche Arbeitslosenkassen, 8 private Arbeitslosenkassen, 169 Zahlstellen (52 öffentliche und 119 private), 4 regionale Konferenzen, 6 Kommissionen der Arbeitslosenkassen, 26 kantonale Amtsstellen, 24 Logistikstellen für arbeitsmarktliche Massnahmen, 115 regionale Arbeitsvermittlungszentren, 1 Verband von Arbeitslosenkassen der privaten Wirtschaft, 1 Verband der öffentlichen Arbeitslosenkassen, 1 Ausschuss der Arbeitslosenkassen, diverse Erfahrungsaustauschgruppen, diverse Arbeitsgruppen und zusätzlich werden zum Beispiel für Evaluationen punktuell Experten beigezogen.
Das Arbeitslosenversicherungsgesetz (AVIG) umfasst über 120 und die Verordnung dazu über 130 Artikel. Für die praktische Anwendung des umfangreichen Gesetzeswerkes stellt die Ausgleichsstelle Handbücher im Gesamtumfang von über 700 Seiten zur Verfügung.
Über 1400 Fachkräfte-Vollzeitstellen sind in den Arbeitslosenkassen damit beschäftigt, in den Informatiksystemen die notwendigen Daten für eine korrekte Auszahlung von Arbeitslosengeldern zu pflegen. Die mit dem Vollzug beauftragten Stellen führen ausgedehnte Kontrollen durch. Die Einarbeitungszeit für neue Fachkräfte beläuft sich auf ca. 1,5 Jahre.
Hinzu kommen über 1900 Mitarbeitende der Regionalen Arbeitsvermittlungszentren (RAV) und viele weitere Akteure, die im aktuellen ALV-System benötigt werden.
Seit dem Jahr 2000 werden zwischen dem federführenden Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung (WBF) und den Trägern der Arbeitslosenkassen Leistungsvereinbarungen abgeschlossen. Schreiben die Arbeitslosenkassen rote Zahlen, geht’s zulasten der öffentlichen und privaten Träger; gibt’s Gewinne, kommen sie den Kassen zugute, aber nicht der defizitären ALV.
Ein ausgeklügeltes Punktesystem soll dafür sorgen, dass Verwaltungskosten und gesetzliche Aufgaben nicht auseinanderdriften. Idealerweise werden tiefere Verwaltungskosten per verstärkter Effizienz ohne Leistungseinbussen erwartet. Das Schlüsselwort heisst «Anreiz». Es gilt für alle 33 Kassen, von denen heute 8 pauschal und 25 kostenberechnend abrechnen.
Wer «Anreize» ins Spiel bringt, erwartet sich davon besondere Anstrengungen. Wie sieht es damit aus? Die SECO-Studie schreibt, etwas verkürzt: Zu einfach ist es einerseits für die meisten kostenabrechnenden Kassen in sicherer Distanz zur Malus- bzw. Verlustzone zu bleiben; zu einfach ist es auf der anderen Seite für Pauschalkassen, erhebliche Gewinne zu erzielen. Und festgestellt wird überdies: Der geringe Kostendruck der heutigen Leistungsvereinbarung verhindert, dass die Kassen bewusst Qualitätseinbussen in Kauf nehmen, um die Kosten zu minimieren.
Von acht der zehn in der SECO-Studie befragten kostenabrechnenden Kassen, die in den vergangenen Jahren schon nennenswerte Boni erwirtschaftet haben, stellen sieben Kassen einen Teil jeweils als Reserve zurück. Eine (private) Kasse führt allfällige Boni als Gewinn an den Träger ab. Sechs Kassen verwenden den Bonus teilweise für Mitarbeiteranlässe oder spontane Geschenke an die Mitarbeitenden. Eine der befragten effektiv abrechnenden Kassen zahlt einen Teil des Bonus auch als Prämie an die Mitarbeitenden aus.
Von jenen sechs der sieben befragten Pauschalkassen, die nach eigenen Angaben zumindest keine Verluste machen, führen vier einen Teil oder den gesamten allfälligen Überschuss als Gewinn an den Träger der Kasse ab. Drei Kassen verbuchen einen Teil des Gewinns als Rückstellung. Eine Kasse überträgt einen Teil des Überschusses an einen zweckgebundenen Arbeitsmarktfonds. Diese Kasse zahlt im Falle eines Gewinns ausserdem den Mitarbeitenden der Kasse eine Prämie (in der Höhe von jährlich maximal einem Monatslohn).
Allfällige Verluste gehen bei den Pauschalkassen und den kostendeckenden Kassen zulasten ihrer Träger. Und die Moral von der Geschichte: Mit einer Ausnahme haben sämtliche Chefs der befragten kostenabrechnenden Kassen sowie einer Pauschalkasse ihr Unverständnis und Missfallen zum Ausdruck gebracht, dass die defizitäre Arbeitslosenversicherung den Pauschalkassen erlaube, erhebliche Gewinne zu erzielen und diese an die Träger abzuführen. Auch zwei der vier befragten Arbeitsämter beurteilen dies als kritisch. In Analogie zur Bonusobergrenze bei den effektiv abrechnenden Kassen empfehlen deshalb mehrere Kassenchefs, auch die maximal zulässigen Gewinne der Pauschalkassen zu begrenzen.
Gelegenheit dazu bietet die neue Leistungsvereinbarung für die Jahre 2019 bis 2023.