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Otto Pfister: "Wenn der Afrikaner ein gewisses Knowhow hat, ist er von sich überzeugt."

Rückblende

faktuell.ch im Gespräch mit Otto Pfister, Jahrgang 1937, der in den letzten 45 Jahren als Cheftrainer zahlreiche Fussball-Nationalmannschaften und Spitzenmannschaften in Afrika und im arabischen Raum betreut hat. Seit 2017 ist er Cheftrainer der afghanischen Fussball-Nationalmannschaft. Er soll die Afghanen in der Qualifikationsgruppe gegen Jordanien, Vietnam und Kambodscha an den Asien-Cup 2019 führen.

faktuell.ch: Herr Pfister, Europa und mit ihm die kleine Schweiz kommen mit der viel gepriesenen Integration von Migranten und Flüchtlingen nicht vom Fleck. Wie sieht umgekehrt die Integration zum Beispiel in den Ländern Afrikas aus, in denen Sie als «Fremder» gearbeitet haben?

 

Otto Pfister: Wer aus eigenem Interesse nach Afrika geht, will Geld verdienen. Ein Handwerker hat dort viel grössere Chancen als hier, wo die Konkurrenz gross ist. Hinzu kommen Auflagen wie Gesetze, Steuern, Versicherungen, Bewilligungen. Das ist in Afrika alles viel einfacher. Ich kenne einen Schweizer, einen Automechaniker, der hat hier die Nase voll gehabt, an der Elfenbeinküste eine Garage aufgemacht und den Regierungsmitgliedern die Luxusautos geflickt. Nach einem halben Jahr machte er schon eine Tankstelle auf und nach einem Jahr war er Millionär.

 

faktuell.ch: Klingt einfach. Gibt’s keine Probleme?

 

Otto Pfister: Selbst in Ländern, wo man noch nicht einmal gelernt hat, sich das Tier nutzbar zu machen, ist alles was aus Europa kommt neu und erstrebenswert. Sie lernen alles von uns, auch das Negative. Wenn du also als Ausländer kommst, musst du dich natürlich richtig verhalten und dich auf die einheimische Mentalität einstellen. Als Fussballtrainer habe ich damit kein Problem. Ich habe einen Auftrag, ein Pflichtenheft und versuche die Mentalitäten unter einen Hut zu bringen, damit ich meinen Job erfüllen kann. Viele scheitern, weil sie dort all das einführen wollen, was wir von der Erziehung her so kennen: Pünktlichkeit, Fleiss, Ehrlichkeit, selbst Tischmanieren…

 

faktuell.ch: … Tischmanieren?

 

Otto Pfister: Ich habe einen Trainer gekannt, der sah im «First Class»-Hotel mit Entsetzen, wie seine afrikanischen Spieler Poulet, Reis und Sauce mit blossen Händen gegessen haben. Das ist in Afrika auch in gehobenen Kreisen üblich. Aber mein Bekannter hatte kein Einsehen. Er baute sich vor dem Spielertisch auf und erklärte: «Alle mal herhören, ab heute wird mit Messer und Gabel gegessen!» Die Spieler erhoben sich und gingen aufs Zimmer. Damit war er als Trainer «tot».

 

faktuell.ch: Das heisst im Umkehrschluss, wenn die Migranten und Asylbewerber schon hier sind, dann sollen sie…

 

Otto Pfister: …gefälligst unsere Gewohnheiten annehmen. Am Anfang dürfen sie noch Fehler machen, aber man muss sie darauf aufmerksam machen. Das ist ein Prozess, der geht nicht von heute auf morgen.

 

faktuell.ch: Geht’s überhaupt?

 

Otto Pfister: Wenn einer aus Ruanda kommt, dann hat er erst mal einen Kulturschock. Es gibt Leute, die haben in einem Kaufhaus noch nie eine fahrbare Treppe gesehen. Für einen Mann aus einer zentralafrikanischen Republik ist es unbegreiflich, dass in der Kleiderabteilung Anzüge nach Grössen aufgehängt sind. Da muss er sich erst mal dran gewöhnen. Oder erklären sie einem Afrikaner, was eine Parkbusse ist, warum er beim Parken die Parkuhr füttern muss. Oder die ganzen Pflichten mit Ämtern, in der Schule mit den Kindern – damit haben die Leute Probleme. Das ist klar. Und da muss man sich natürlich drum kümmern. Was man hier aber auch zur Kenntnis nehmen sollte: Viele Afrikaner haben ein unglaubliches technisches Talent. Wenn man in Afrika zum Beispiel mit dem Computer ein Problem hat, findet sich in einer Runde garantiert einer, der einem helfen kann.

 

faktuell.ch: Herr Pfister, Sie haben unter anderen die Nationalmannschaften von Ruanda, von Obervolta (heute Burkina Faso), von Senegal, der Elfenbeinküste, von Zaire (heute Dem. Rep. Kongo) und von Ghana trainiert. Haben sie dabei festgestellt, dass es «den Afrikaner» gibt, von dem wir immer summarisch sprechen?

 

Otto Pfister: Ja, den gibt’s. Das ist primär eine Mentalitätsfrage. Natürlich gibt es ethnische Unterschiede und auch eine unterschiedliche Erziehung. In Ruanda beispielsweise, da war ich noch ein junger Mann, erlebte ich einen totalen Kulturschock. Es gibt dort zwei Bevölkerungsgruppen, die Hutus und die Tutsi. Ich musste gut darauf achten, dass die beiden Gruppen im Team ausgewogen vertreten waren. Die Tutsi haben jahrelang die Hutus unterdrückt. Ich habe den Umsturz erlebt. Die haben eine ganz unterschiedliche Erziehung. Ein Hutu schaut zum Beispiel den andern beim Essen nicht ins Gesicht. Bei den Tutsi dürfen die Kinder beim Geschlechtsverkehr der Eltern zuschauen. Das muss man sich vorstellen, das sind andere Welten. Damit sind sie aber gross geworden. Und jetzt kommen die nach Europa…

 

faktuell.ch: … ebenso wie Menschen aus dem arabischen Raum. Sie haben dort ebenfalls Spitzenmannschaften trainiert, inklusive das Nationalteam von Saudi-Arabien. Was erwartet uns von ihnen?

 

Otto Pfister: Nach Riad war ich auch in Kairo, im Libanon und in Tunesien. Dort ruft der Muezzin in der Moschee mehrmals täglich zum Gebet auf. Dann schliessen jeweils alle Geschäfte für eine Stunde. Das passiert fünfmal am Tag! Wenn sich jetzt hier in der Schweiz ein Araber hinkniet und betet, wundern sich alle, was mit dem los ist…

 

faktuell.ch: ... worauf wollen Sie hinaus?

 

Otto Pfister: Es geht nicht nur darum, diese Leute zu integrieren, sondern erst müssen die Einheimischen mal informiert werden, wer hierherkommt.  

 

faktuell.ch: Das wird in den Aufnahmezentren ja gemacht – mit Übersetzern aus den einzelnen Ländern. Aber es reicht offenbar nicht, um diese Menschen mit unserer Mentalität vertraut zu machen. Warum bringen wir die Integration nicht auf die Reihe?

 

Otto Pfister: Da muss ich grundsätzlich werden. Nicht wenige stellen sich vor, man müsse einfach vor Ort, in den Ländern Afrikas, die Bedingungen mit Entwicklungshilfe verbessern, damit diese Leute nicht mehr zu uns kommen. Das ist fertiger Unsinn. Die kommen trotzdem, weil sich nichts verbessert. Die afrikanischen Länder sind auf dem Papier alles Demokratien, aber sie haben kein Demokratieverständnis. Man muss dort erst politische Bildung betreiben und das Hauptproblem, die Korruption, bekämpfen. Und wenn man Geld gibt, müsste der Geldfluss von jedem Rappen genau kontrolliert werden können. Geht aber nicht, weil die Länder unabhängig sind und sich nicht mehr dreinreden lassen.

 

faktuell.ch: Klingt nicht besonders optimistisch.

 

Otto Pfister: Schuld an der heutigen Lage in Afrika sind die Kolonialländer. Das Drama ist, dass sie nicht in die Pflicht genommen werden. Sie haben jahrzehntelang die Menschen dort ausgenutzt und tun es zum Teil immer noch. Ich war drei Jahre im Kongo, der damals von Mobutu mit seinem Clan regiert wurde. Ein wunderschönes Land, gemessen an seinen Bodenschätzen eines der reichsten Länder der Welt. Die haben Diamanten, Gold, Kobalt, das Basismaterial für Nuklearwaffen. Nichts davon kommt der Bevölkerung zugute. Ich finde, zuerst sollten eigentlich jene zum Handkuss kommen, die diese Länder kolonialisiert und mit geraden Strichen die Grenzen mitten durch ethnische Gruppen gezogen haben…

 

faktuell.ch: … und die Sie beispielsweise in Senegal zu einem Nationalteam formten.

 

Otto Pfister: Ja, in Westafrika gibt es Familiennamen, die auf die gleiche ethnische Gruppe hinweisen, aber über mehrere Länder verteilt sind, mithin über ein Viertel des afrikanischen Kontinents hinweg.

 

faktuell.ch: Sie sagten zwar, dass sich zuerst die ehemaligen Kolonialisten wie Frankreich, Portugal, Spanien, Grossbritannien etc. um die Flüchtlinge kümmern sollten. Die zeigen aber wenig bis keine Neigung dazu, mehr als das Nötigste beizutragen. Damit gilt: Die Migranten sind hier und es kommen absehbar immer mehr. Was raten Sie?

 

Otto Pfister: Zuerst muss man die Bedingungen schaffen, dass sie kommen können. Jeder Kanton sollte eine Analyse machen, wie viele Flüchtlinge er aufnehmen kann. Dann geht es darum, dass der Afrikaner korrekt wohnt und einen Arbeitsplatz hat. Wenn beides nicht gegeben ist, können wir ihm nicht helfen und er muss zurück.

 

faktuell.ch: Denken Sie, dass sie sich bei uns überhaupt integrieren wollen, wenn es möglich wäre?

 

Otto Pfister: Die wollen, ja. Aber es geht nicht, weil wir mit ihnen nicht reden. In Afrika setzt man sich zu Fremden an den Tisch, auch wenn an den meisten anderen Tischen keiner sitzt. Man sucht das Gespräch, den Kontakt. Wenn sich bei uns einer zu einem an den Tisch setzt, ruft der gleich die Bedienung und will wissen, was mit dem andern nicht gut ist. Sehen sie sich mal in Bern oder Zürich im Bahnhof um. Die Afrikaner stehen herum, keiner kümmert sich um sie, keiner will etwas mit ihnen zu tun haben. Und jetzt frage ich mich, wo ist hier die Regierung? Was machen die? Gibt’s hier ein Ministerium oder eine Abteilung, die sich nur um Integration bemüht?

 

faktuell.ch: Welches ist die grösste Barriere für eine erfolgreiche Integration – die Religion oder die Sprache?

 

Otto Pfister: Die Sprache. Das muss zuallererst gemacht werden. Wenn die Bundesliga einen Spieler verpflichtet, hat der jeden Tag morgens vor dem Training Deutschunterricht. Das steht im Vertrag.

 

faktuell.ch: Und das sollte auch für Asylbewerber und Migranten gelten?

 

Otto Pfister: Ja. Jeder der kommt, muss zwingend die Sprache lernen. Das ist die Aufgabe des Staates. Wenn ich das Sagen hätte, wäre es so: Man gibt ihnen ein Minimum mit Auflagen. Dazu gehört Sprache. Nummer eins.

 

faktuell.ch: Sprechen wir vom völkerverbindenden Fussball. Fast jede Mannschaft in Europa hat mittlerweile Afrikaner, bis in die unteren Ligen. Wo kommen die her?

 

Otto Pfister: Das hat mit Sport sehr wenig zu tun. Er ist ein reines Business. Hier ist der Agent A, der geht zu dem Präsidenten B und sagt: «Du, ich habe Dir da einen Mittelfeldspieler, einen Afrikaner, der ist besser als Deine. Ich bring Dir den. Du musst mir dafür aber was geben». Dann geht er zu dem Spieler und sagt: «Du, ich habe Dir einen Klub, aber du musst mir was geben». Dann kassiert er von beiden Seiten.

 

faktuell.ch: Sie sprechen von den Spieleragenten, die ähnlich wie die Schleuser mit ihrer Dienstleistung gross abkassieren?

 

Otto Pfister: In der Schweiz hat es Hunderte, im Internet unter «FIFA agents» gar tausende weltweit.  Ich kenne einen im Tessin, der hat in seinem Mercedes immer zwei, drei Afrikaner hinten drin. Er bietet sie in Ländern wie Tschechien, der Slowakei oder Polen an wie warmes Bier. Wer so einen Spieler vermarktet, macht hier fünftausend, dort dreitausend und wenn er zehnmal dreitausend gemacht hat, hat er auch 30’000. Das ist ein reines Geschäft.

 

faktuell.ch: Moderner Sklavenhandel.

 

Otto Pfister: Sklavenhandel, Menschenhandel. Und dann gibt es viele Agenten, die in Fernsehinterviews sagen, sie schauten auf die Karriere des Spielers. Aber das interessiert die nur in zweiter Linie. In erster Linie wollen sie Geld verdienen.

 

faktuell.ch: Den Migranten wird oft unterstellt, es fehle an der Leistungsbereitschaft…

 

Otto Pfister: … nicht im Fussball, da ist das anders. Die Leistungsbereitschaft der Spieler ist sehr gross. Die kommen zu 99 Prozent von ganz unten. Da steht im Dorf ein Fernseher, der überträgt die Champions League. Dann sitzt das halbe Dorf davor. Und die Buben sehen auch die NBA, die amerikanischen Basketballspiele. Sie sehen ihre schwarzen Brüder spielen – in Farbe am Fernsehen. Und dann haben sie nur ein Ziel: Da will ich hin und da kann ich Geld verdienen.

 

faktuell.ch: Sie sprechen aus Erfahrung?

 

Otto Pfister: Ja, ich habe das erlebt, ich war Juniorenweltmeister mit Ghana. Die Buben waren 17. Da hätte ich ein Training morgens um drei ansetzen können, mitten in der Nacht. Da wäre keiner zu spät gekommen. Machen sie das mal hier. Kommt keiner. Zwei, drei meiner Mannschaft haben es auch geschafft. Einer ist heute mehrfacher Millionär. Der wusste damals nicht was hundert Dollar sind. Geld ist schon ein Anreiz.

 

faktuell.ch: Sie betrachten afrikanische Spieler als mental stark, was Sie auf deren meist schwierige Lebensumstände zurückführen. Sie könnten sich also auch bei uns und überall durchbeissen.

 

Otto Pfister: Ja, wenn ein Afrikaner ein gewisses Knowhow hat, ist er von sich überzeugt. Im Fussball geht das. Da zählt nur die Leistung. Aber selbst wenn einer die richtige Ausbildung mit Leistung verbindet, kann er hier nicht einfach in eine Bank einmarschieren und gleich die Nummer zwei nach dem Direktor werden.

 

Gesprächsführung für faktuell.ch: Christian Fehr

(Dieses Gespräch fand im November 2017 statt.)

 


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