faktuell-ch im Gespräch mit Annemarie Lanker, Sozialexpertin mit fast 40 Jahren Berufserfahrung im Bereich der Sozialarbeit
Annemarie Lanker
faktuell.ch: Frau Lanker, vor allem kleine Gemeinden scheinen durch die Migrationskosten finanziell bereits überfordert, obschon ihnen die grosse Welle der Unterstützungsfälle ja noch bevorsteht. Sie haben in den letzten Jahren Hunderte von Migranten-Dossiers eingesehen. Wo liegt das Problem?
Annemarie Lanker: Das sind die teuren Dossiers. Es handelt sich sehr oft um Familien mit mehreren Kindern. Die Klienten sind seit fünf oder sieben Jahren hier. Das sind Leute, die sich hier schon ‘eingerichtet’ haben…
faktuell.ch: ... mit dem Anspruch auf Sozialhilfe-Leistungen?
Annemarie Lanker: Ja, auf jeden Fall. Die meisten, die ich sehe, sind schlecht oder überhaupt nicht integriert. Sie haben noch nie gearbeitet und können sich mangels Sprachkenntnissen kaum verständigen.
faktuell.ch: Was kostet eine solche Familie?
Annemarie Lanker: Sie werden gleich behandelt wie eine Schweizer Familie in Notlage. Mit Miete, Krankenkasse, Anschaffungen und Gesundheitskosten, die nicht klein sind, kostet das schnell mal 6000 Franken im Monat - steuerfrei. Und die Chance, dass eine Integration noch gelingt, ist gering.
faktuell.ch: Also lebenslange Rente?
Annemarie Lanker: Ja. Das ist das Hauptproblem. Das sind teure Dossiers, weil die Familien grösser sind. Ich habe Dossiers gesehen, bei denen die Kosten in wenigen Jahren auf 400'000 bis 600'000 Franken aufgelaufen sind...
faktuell.ch: … inklusive die Kosten aus der Zuständigkeit des Bundes, also den ersten fünf Jahren für anerkannte Flüchtlinge bzw. sieben für vorläufig Aufgenommene?
Annemarie Lanker: Nein, nur die Schuld, die eine Familie gegenüber dem Sozialamt hat. Es gibt also keine Kostenwahrheit. Und wenn jemand den Kanton wechselt, beginnt dort die Auflistung der Schuld wieder von vorn. Das alles wird wie ein Tabu behandelt. Ich habe kürzlich in einer grösseren Berner Gemeinde eine Untersuchung gemacht, wo bereits heute fast 15 Prozent von allen Sozialhilfebezügern Asylanten und Asylsuchende sind.
faktuell.ch: Trotzdem stimmen die Berner Gemeinden zumindest öffentlich bisher noch nicht allzu sehr in das Klagelied etwa der Zürcher ein.
Annemarie Lanker: Das hat mit dem Lastenausgleich zu tun. Die Gemeinden können dem Kanton Bern – mit über einer Milliarde Franken der grösste Nehmer-Kanton im Nationalen Finanzausgleich (die Red.) – die Rechnung schicken. Es hat also niemand ein Interesse zu sparen. In Kantonen ohne Lastenausgleich müssen die Gemeinden mit ein paar solchen Familien die Steuern erhöhen. Und die grossen Wellen kommen erst noch. Bereits 2017 wechseln jene rund 50'000 Personen, die 2012 eine Bleiberecht erhalten haben, in die finanzielle Zuständigkeit der Kantone und Gemeinden.
faktuell.ch: Wie muss man sich Ihre Überprüfung der Dossiers vorstellen – beraten Sie, wo Einsparungen möglich sind?
Annemarie Lanker: In der Regel ist es eine methodische Dossier-Kontrolle, keine Finanzkontrolle. Ich prüfe den Integrationsstatus und gebe individuell pro Dossier Empfehlungen ab. Gewöhnlich erhalte ich für eine bestimmte Klientengruppe einen Auftrag. Meisten sind es solche Fälle, die besonders auf die Kosten drücken – langjährige Fälle, die schon sehr viel gekostet haben – und eben Migranten. Die Kosten für Migranten steigen im Moment besonders steil an. Das wird absehbar zu einem heisseren Thema werden als seinerzeit die Sozialhilfe-Missbräuche. Da bin ich sicher.
faktuell.ch: Die Sozialhilfequote stagniert seit ein paar Jahren zwischen 2,5 und 2,7 Prozent. Es gibt zwar mehr Fälle, aber sie wachsen proportional zur Bevölkerung.
Annemarie Lanker: Wenn wir pro Jahr 100'000 Leute auf den Arbeitsmarkt schleusen – und das sind nicht nur hoch Qualifizierte – hätte im Normalzustand in den letzten Jahren bei dieser guten Beschäftigungslage und bei diesem Bedarf die Sozialhilfequote sinken müssen, und zwar massiv.
faktuell.ch: Was halten Sie von Finanzminister Maurers Idee, die Migration über die Finanzen zu entschärfen?
Annemarie Lanker: Er spricht damit die ersten fünf bis sieben Jahre, also die Zeit der Bundeszuständigkeit an. Da sind wir im Vergleich mit Deutschland – Hartz IV – sehr grosszügig.
faktuell.ch: Ex-FDP- Chef Müller schlägt vor, die asylsuchenden Migranten nach fünf bzw. sieben Jahren nicht in die Zuständigkeit der Sozialdienste der Kantone und Gemeinden zu geben, sondern bei den Hilfswerken zu belassen, weiter finanziert aus der direkten Bundessteuer. Ist das eine gute Idee?
Annemarie Lanker: Es ist vor allem eine politische Idee. Die Kantone wären sicher nicht dagegen, dass der Bund bezahlt. Ich habe da aber ein Fragezeichen.
faktuell.ch: Warum?
Annemarie Lanker: Bei den Hilfswerken müsste sich zuerst einiges ändern. Man müsste wohl andere Leute rekrutieren – Leute, die entsprechend ausgebildet sind und konsequent fordern können. Wenn ich die Übertragungsberichte an die Gemeinden sehe und einen miserablen Stand der Integration nach fünf oder sieben Jahren in der Schweiz feststellen muss, dann…
faktuell.ch: … worum geht es da?
Annemarie Lanker: In einem solchen Bericht sollte mindestens stehen, was bisher in Sachen Integration unternommen worden ist, was erreicht wurde und was nicht, und was der letzte Stand ist.
faktuell.ch: Was läuft falsch?
Annemarie Lanker: Wenn jemand fünf oder sieben Jahre in der Schweiz lebt, noch nie gearbeitet hat, keine Landessprache spricht, dann ist er abgeschottet in seinem Kulturkreis. Da kann von Fördern und Fordern keine Rede sein. Wenn jemand aus einem Land wie Somalia oder Eritrea hierherkommt und mit grosszügigen Leistungen der öffentlichen Hand rechnen kann, dann richtet er sich langfristig darauf ein, nicht selten mit dem ganzen Familienclan. Das kann man ihm nicht einmal verübeln; die Anspruchshaltung gegenüber dem Staat ist in der ganzen Gesellschaft gewachsen, denken wir nur an die Landwirtschaft und den Tourismus; sogar die Chefs der Grossbanken rechnen bei selbstverursachten Krisen mit der Hilfe des Staates.
faktuell.ch: Müssen wir als Gastgeber unsere Integrationsbemühungen verbessern – und wie?
Annemarie Lanker: Integration ist nicht einfach Sache des Gastlandes, sondern auch der Migranten. Es gibt Leute, die wollen sich anstrengen. Sie können sich in relativ kurzer Zeit in einer unserer Sprachen verständigen. Daraus lässt sich der Wille zur Integration ableiten. Aber das ist leider lange nicht immer der Fall, weshalb man den individuellen Integrationsstand regelmässig überprüfen muss.
faktuell.ch: Wann soll damit begonnen werden?
Annemarie Lanker: Zwei bis drei Jahre nach der Einreise sollte man wissen, wo die Leute stehen. Was haben sie gemacht. Wie stark haben sie sich bewegt. Und dann müsste man den Aufenthaltsstatus ansehen ...
faktuell.ch: ... und Betroffene je nach dem nach Hause schicken?
Annemarie Lanker: Ja, und zwar mit der Begründung: kein Integrationswille, keine Integrationsbemühungen. Ich mag mich aus meiner Zeit als Leiterin des Sozialdienstes der Stadt Bern daran erinnern, wie wir den Leuten Deutschkurse finanzierten und sie nicht einmal hingingen. Wenn man will und fünf Jahre in der Schweiz ist, dann sollte man die Sprache auch ohne Deutschkurs sprechen können. Das liegt in der Eigenverantwortung.
faktuell.ch: Es gibt auch Beispiele, wie Eigenverantwortung erst gar nicht aufkommen kann, wie eine Untersuchung der Luzerner Fachhochschule für Sozialarbeit zeigt. Da werden Leute zu Kursen genötigt, die ihnen nichts bringen. Akademiker und Analphabeten werden durch den gleichen Kurs geschleust, und niemand wird gefragt, welche beruflichen Kenntnisse – beispielsweise als Bauer oder Wildhüter in Afrika – er mitbringt. Sie werden einfach in all diese Billigjobs geschickt mit der Begründung, es gelte die Leute möglichst schnell auf den Arbeitsmarkt zu bringen.
Annemarie Lanker: Das ist dumm und darf nicht passieren. Die Problematik ist aber im System angelegt: das Gastland muss etwas tun. Wir haben immer ein schlechtes Gewissen. Das ist unsere Sichtweise. Ich finde aber, dass mindestens 50 Prozent der Anstrengungen von den Betroffenen kommen müssen.
faktuell.ch: In Zürich gibt es den «Riesco»-Lehrgang, in dem Leute für die Gastronomie geschult werden. Ein kleines, aber höchst erfolgreiches Projekt: 80 Prozent finden danach eine Stelle auf dem ersten Arbeitsmarkt...
Annemarie Lanker: …ja, das ist eine gute Sache. Aber der Projektleiter sagt den Leuten auch: «Merken Sie sich, auf Sie hat hier niemand gewartet». Das ist so und muss ihnen wirklich gesagt werden. Sie müssen sich anstrengen, ‘s Füdle lüpfe’. Sie können ihre Frau nicht zuhause einschliessen und wenn mehrere Kinder da sind, muss auch die Frau einer Arbeit nachgehen.
faktuell.ch: Was nützt es, die Leute möglichst schnell in Billigjobs unterzubringen, sie bleiben ja trotzdem abhängig von der Sozialhilfe?
Annemarie Lanker: Das ist eines dieser typischen Killerargumente, die immer wieder kommen. Darauf gibt es zwei Antworten: erstens, sie kosten weniger, als wenn sie nichts tun; zweitens, sie gewöhnen sich im Arbeitsprozess an klare Strukturen und lernen erst noch unsere Sprache.
faktuell.ch: Sozialhilfe-Bezüger aus dem Ausland wissen oft höchstens, dass «die Gemeinde» für sie aufkommt, aber nicht, woher das Geld und die Leistungen kommen, die sie beziehen.
Annemarie Lanker: Das erinnert mich an einen Klienten aus Algerien, einen faulen Kerl, der nie arbeitete. Er sagte mir eines Tages, er heirate jetzt, die Familie schicke ihm eine Frau. Ich fand, das komme überhaupt nicht in Frage. Wie er sich denn das finanziell vorstelle. Darauf erklärte er, das habe ihn seine Zukünftige am Telefon auch gefragt. Und er habe gesagt: «Das ist kein Problem. In der Schweiz kommt Geld vom Büro.» Das ist die typische Wahrnehmung.
faktuell.ch: Schweden überprüft neu die Altersangaben der jugendlichen Migranten, die bevorzugt behandelt werden mit besserer Ausbildung und Unterkunft, wenn sie noch minderjährig sind.
Annemarie Lanker: Ich finde es richtig, Alterstests zu machen. Unser System ist nicht clever. Wir sollten uns auf clevere Leute einstellen. Und wir sollten die Entwicklungshilfe an die Bedingung koppeln, dass die betroffenen Länder bereit sind, ihre Landsleute zurückzunehmen, wenn sie bei uns keinen Asylstatus erlangen.
faktuell.ch: Was heisst in der heutigen Zeit „bedroht“? Lebt sich zum Beispiel in Eritrea weniger sicher als in der Türkei?
Annemarie Lanker: Nur schon darüber zu reden, scheint auch ein Tabu zu sein. Das zeigte die Reise der Parlamentariergruppe nach Eritrea in diesem Frühling. Natürlich ist Eritrea ein armes Land. Ein Eritreer auf Sozialhilfe in der Schweiz schickt locker ab und zu hundert Franken nach Hause und finanziert die ganze Familie.
faktuell.ch: Wer freiwillig zurückgeht, erhält eine finanzielle Rückkehr- und Wiedereingliederungshilfe, 500 Franken pro erwachsene und 250 Franken pro minderjährige Person. In Härtefällen kann eine materielle Zusatzhilfe von maximal 3000 Franken gewährt werden.
Annemarie Lanker: Ich halte diese Rückkehrhilfen für fragwürdig, weil sie eine neue Ungerechtigkeit schaffen. Nach Europa kommen ohnehin nur Leute, die das Geld dafür haben, und die werden zusätzlich belohnt.
faktuell.ch: Sie sprachen, als Skandalfälle wie jener mit «Carlos» die Medien beschäftigten, von fehlendem Augenmass in der Sozialhilfe. Inzwischen sind die Migranten und nicht mehr solche Einzelfälle das grosse Thema. Haben Sie den Eindruck, dass jetzt mehr Augenmass vorhanden ist?
Annemarie Lanker: Die SKOS hat sich bewegt. Allerdings nicht stark. Das war auch nicht zu erwarten. Aber immerhin.
faktuell.ch: Schon fast in aller Stille hat die SKOS «Empfehlungen» zur Vermeidung des Schwelleneffekts in der Sozialhilfe erlassen, die ab 2017 in Kraft treten. Kernsatz: «Schwelleneffekte werden vermieden, wenn die Leistungen so lange gewährt werden, bis das Erwerbs- oder Renteneinkommen über dem verfügbaren Einkommen liegt, das ein Haushalt mit Sozialhilfe erzielt.» Kurz: Die Ungerechtigkeit im Vergleich mit Haushalten in bescheidenen Verhältnissen, die sich ohne Sozialhilfe durchschlagen, bleibt bestehen. Gibt es keine Chance für eine gerechtere Lösung?
Annemarie Lanker: Ich kann auch kein Rezept aus dem Ärmel schütteln. Heute heisst es «soziale Teilhabe». Man muss zuhause einen Fernseher haben und einen Computer. Vor dreissig Jahren war man der Auffassung, es gehe nicht an, dass ein Sozialhilfeempfänger ein Auto habe. Heute haben sehr viele ein Auto, auch die Migranten. Für mich ist «soziale Teilhabe» ein Synonym für «Rente» geworden.
faktuell.ch: Man will mit der Selbstverwaltung des Grundbeitrags die Selbständigkeit fördern.
Annemarie Lanker: Unsinn. Man leistet sich einen Wagen und entscheidet selbständig, die Rechnungen nicht zu bezahlen. Die Sozialhilfe wird es schon richten.
faktuell.ch: Hört sich ziemlich verärgert an...
Annemarie Lanker: … die SKOS spricht nach wie vor immer nur von den Grundkosten und lässt all die vielen Anschaffungen, die Gesundheits- und Wohnkosten, die Krankenversicherung inkl. Selbstbehalt etc., die den Leuten bezahlt werden, aussen vor. Ich habe noch nie ein Budget gesehen, in dem alles drin ist, was wirklich bezahlt wird. Die Sozialhilfe ist so ausgebaut worden – auch mit den Anreizen - , dass sich Sozialhilfeempfänger sagen, mehr arbeite ich nicht, sonst falle ich raus und muss plötzlich alle Selbstbehalte und die Steuern selber bezahlen. Wir brauchen ein radikal anderes System.
faktuell.ch: Wo müsste man ansetzen?
Annemarie Lanker: Die Sozialhilfe sollte wieder zurückbuchstabieren und nicht Rundum-Versorgung bieten, sondern nur Unterstützung für Leute, die wirklich darauf angewiesen sind und nicht arbeiten können. Vor dreissig Jahren wäre in der Sozialhilfe niemand auf die Idee gekommen, man müsse einen Klienten zur Arbeitssuche ‘anreizen’. Schon das ist eine schräge Geschichte. Sozialhilfe war ursprünglich eine reine Überbrückungshilfe. Was muss man da ‘anreizen’? Aber wir gehen heute schon gar nicht mehr davon aus, dass es eine vorübergehende Nothilfe ist und sonst eigentlich jeder für sich selber sorgen muss.
faktuell.ch: Also kürzen, kürzen, kürzen…
Annemarie Lanker: …in gewissen Fällen bis zur reinen Nothilfe. Dann erst spüren die Leute genügend Druck, dass sie selbst etwas machen wollen. Wir haben heute zum Beispiel sehr viele Alleinerziehende in der Sozialhilfe. In der Mittelschicht ist es jedoch selbstverständlich, dass die Frauen arbeiten, auch alleinerziehende. Wenn man eine Frau rundum versorgt, bis ihr Kind fünfjährig ist, dann ist sie raus aus dem Beruf. Und die Symbiose Mutter-Kind ist in der Regel auch nicht förderlich.
faktuell.ch: Es gelten die Gleichungen Sprache gleich Arbeit, Arbeit gleich Integration. Der Bund will in den Jahren 2018 bis 2022 über 50 Millionen Franken für die Ausbildung von Flüchtlingen ausgeben und erwartet von den Kantonen, dass sie dieselbe Summe aufbringen. Rentiert das?
Annemarie Lanker: Das ist auf jeden Fall gut. Die Leute müssen ausgebildet werden, sonst bleiben sie in der Sozialhilfe hängen und das ist viel teurer. Wenn einer mit 18 schon in der Sozialhilfe ist, kann man’s vergessen. Der arbeitet mit über 20 wohl auch nicht. Man muss die Leute ausbilden, wenn nötig mit Druck und Zwang.
faktuell.ch: Wer gesundheitlich dazu in der Lage ist, soll inzwischen auch nach Meinung der SKOS zur Ausbildung gezwungen werden. Zwangsmassnahmen klingen für die SKOS eher ungewöhnlich…
Annemarie Lanker: … die kriegen vermutlich auch langsam Angst. Denn was da auf uns zukommt, ist nicht mehr gemütlich. Vor dieser Zeitbombe darf niemand die Augen verschliessen.
Annemarie Lanker,
dipl. Sozialarbeiterin und Lehrbeauftragte an Fachhochschulen, von 1991 bis 2009 Leiterin der sozialen Dienste der Stadt Bern, löste 2007 noch als SP-Mitglied mit einem ungewohnt offenen Interview im Berner „Bund“ über Misswirtschaft und Sozialmissbrauch bei der Fürsorge der Stadt Bern im eigenen politischen Lager einen Sturm der Entrüstung aus. Heute ist sie als parteilose Mediatorin und Supervisorin im Bereich Sozialhilfe tätig und kontrolliert u.a. im Auftrag von Gemeinden Sozialhilfe-Dossiers mit Fällen, die finanziell besonders «drücken», in Bezug auf den Integrationsstatus. Vor Jahresfrist hat sie zusammen mit Beat Büschi, ehemaliger Finanzinspektor der Stadt Bern, die prekären Verhältnisse bei der Bieler Sozialfürsorge untersucht, der Schweizer Stadt mit der höchsten Sozialhilfequote.
Stellungnahme
Cristina Spagnolo, Leiterin Migration, Schweizerisches Rotes Kreuz Kanton Bern, nimmt zum kritischen Abschnitt, der die Arbeit der Hilfswerke betrifft, wie folgt Stellung:
«Frau Lanker sagt im Interview über ihre Sozialhilfe-Erfahrungen aus, dass in den Hilfswerken „andere“ Mitarbeitende angestellt werden sollten, die qualifiziert sein sollten. Diese Aussage können wir als SRK Kanton Bern nicht nachvollziehen.
Kontext
Das SRK Kanton Bern führt im Auftrag der Gesundheits- und Fürsorgedirektion Kanton Bern einen Sozialdienst für Flüchtlinge. Gemeinsam mit Caritas Bern sind wir im Kanton für anerkannte Flüchtlinge (Ausweis B) und vorläufig aufgenommene Flüchtlinge (Ausweis F) zuständig. Asylsuchende (Ausweis N) und vorläufig aufgenommene Ausländer (Ausweis F) werden von Organisationen und Hilfswerken der Asylstrukturen begleitet. Für die Begleitung dieser Zielgruppe gelten andere gesetzliche Bestimmungen und sozialhilferechtliche Vorgaben.
Qualifizierte, ausgebildete Sozialarbeitende
In den Sozialdiensten des SRK Kanton Bern und Caritas Bern beschäftigen wir, entsprechend den Vorgaben des Kantons, ausschliesslich ausgebildete Sozialarbeitende mit einem Abschluss an einer Fachhochschule oder Universität. Unsere Aufgabe ist die Ausrichtung der Sozialhilfe nach Sozialhilfegesetz des Kantons und die Integrationsförderung unserer Klientel. Können vorläufig aufgenommene oder anerkannte Flüchtlinge nicht selber für ihre Bedürfnisse aufkommen, haben sie Anspruch auf Sozialhilfe. Es gilt die Inländergleichbehandlung. Dabei müssen die gleichen Leistungen gewährt werden wie für einheimischen Sozialhilfebezügerinnen und -bezügern (Art. 3 Abs. 1 AsylV2). Es gelten die Richtlinien der Berner Konferenz für Sozialhilfe (BKSE) und der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS). Entsprechend gelten auch für unsere Klientel die gleichen Rechten und Pflichten wie für einheimische Sozialhilfebezügerinnen und -bezüger.
Exakte Übergabeberichte
Ist ein anerkannter oder vorläufig aufgenommener Flüchtling 5 Jahre nach der Asylgewährung, resp. 7 Jahre nach der Einreise in die Schweiz weiterhin nicht in der Lage, seinen gesamten Lebensunterhalt selbständig zu finanzieren, übergeben wir die Person dem Sozialdienst seines Wohnortes. Zu diesem Zeitpunkt wird ein Übergabebericht verfasst, der über die familiären, finanziellen und gesundheitlichen Verhältnisse Auskunft gibt, die besuchten Massnahmen zur Integrationsförderung beschreibt und über den erreichten Integrationsstand informiert. Mit den grösseren Sozialdiensten, namentlich die der Städte Bern und Biel stehen wir in regelmässigem Kontakt, um die Übergaben professionell und effizient zu gestalten.
Wir weisen deshalb die pauschalen Aussagen von Frau Lanker zurück.»
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